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Kommentar: Frauenförderung muss zur Chefsache werden

Der Mangel an Fachkräften wird zur größten Bremse bei der Digitalisierung. Frauen könnten Teil der Lösung sein, allerdings entscheiden sich nur wenige für eine Karriere im IT-Bereich. Wenn die Branche weiblicher werden soll, müssen Unternehmen das Ruder in die Hand nehmen, fordert Dirk Pothen, Vorstand HR beim IT-Dienstleister adesso. Frauenförderung muss zur Chefsache werden.

Autor: Dirk Pothen*

Stumme Nerds hinter Rechnern, Frauen, die keine Ahnung von Computern haben: Solche Klischees sind eigentlich längst veraltet – trotzdem ist die IT-Branche noch immer eine Männerdomäne. Auch zahlreiche politische Anstrengungen haben an dieser Situation nichts geändert, es gibt einfach zu wenige Spezialistinnen. Neu ist diese Erkenntnis nicht, die jüngsten Zahlen des Verbands der Internetwirtschaft eco belegen aber schwarz auf weiß, wie schlecht Deutschland immer noch dasteht: Der Frauenanteil in der IT-Wirtschaft liegt hierzulande bei gerade einmal 16 Prozent. Lediglich zehn bis 20 Prozent der Bewerber auf freie Stellen sind weiblich, obwohl die Digitalbranche boomt und händeringend Fachkräfte sucht, beklagt eco.

Die Frage nach dem Schuldigen oder besser gesagt den Gründen wurde schon oft gestellt, die Antworten – angefangen von mangelnder Förderung über fehlendes Interesse bis hin zur Unvereinbarkeit von Familie und Beruf – sind bekannt. Die Politik hat sich des Problems angenommen und mit dem MINT-Aktionsplan ein eigentlich ehrgeiziges Programm gestartet: Von Kita, Schule und außerschulischen Aktivitäten über die Berufsberatung, die Ausbildung oder das Studium bis hin zum Berufseinstieg und der Weiterbildung sollen Kinder, Jugendliche und Erwachsene für die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik begeistert werden – dafür investiert die Bundesregierung bis 2022 rund 55 Millionen Euro. Geht man allerdings an Schulen, fehlt es trotz verschiedenster Investitionsprogramme noch immer an Equipment und entsprechend ausgebildeten Lehrkräften.

Hier muss sich schnell etwas ändern. Auch und gerade angesichts des immer stärker werdenden Fachkräftemangels und zum Erhalt der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.

Unabhängig von der Politik ist jedes einzelne Unternehmen gefordert, seinen Beitrag für mehr Frauenförderung zu leisten. Ob das künftig koordiniert über einen Verband wie den BDI erfolgt, um mehr Schlagkraft zu erreichen, muss sich zeigen. adesso auf jeden Fall versucht mit verschiedenen Programmen mehr Mädchen und Frauen für IT zu begeistern. Wir gehen an Schulen und in Universitäten, gestalten den Informatikunterricht aktiv mit und wenden uns dabei speziell an Mädchen. Wir bieten aber auch Schnupper-Workshops für Mädchen und junge Frauen an, zum Beispiel beim Girl’s Day oder den IT4Kids-Workshops. Schulpatenschaften und Stipendien exklusiv für Frauen am zukünftigen, eigenen Hochschul-Studiengang „adesso School of Coding and Software Engineering“ an der XU Exponential University in Potsdam mit begleitender Förderung im Rahmen von Werkstudentenverträgen sind weitere Bausteine.

Ich bin immer wieder erstaunt, wie sehr die jungen Menschen heute noch Gender-Klischees leben und sich für einen typischen Frauen- beziehungsweise Männer-Beruf entscheiden. Damit Frauen später dann wirklich Karriere machen können, ist es wichtig, Job und Familie unter einen Hut zu bekommen. Für eine bessere Vereinbarkeit braucht es flexible Arbeitsplatzmodelle sowie individuelle Kinderbetreuungsangebote. Unternehmen sollten sich dabei von Standardlösungen verabschieden und Antworten auf Fragen moderner Lebensrealitäten finden. Gerade die IT-Branche hat hier viel mehr Möglichkeiten als etwa Fertigungsunternehmen, wo Produktionsanlagen nicht einfach stillstehen können.

Würde eine gesetzliche Frauenquote helfen, das Problem zu lösen? Nur bedingt, ein paar Frauen in Konzernvorständen hilft der Mehrheit der Frauen nicht weiter. Eine erfolgreiche Frauenförderung muss breiter ansetzen und die Männer, die klassischerweise die Top-Positionen besetzen und die Hebel für einen Wandel umlegen können, einbeziehen. Dabei sind weibliche „Parallel-Welten“ in Unternehmen meines Erachtens nur eingeschränkt dienlich: Reine Frauen-Netzwerke sind sicherlich wichtig, meiner Erfahrung nach kommen Frauen aber weiter, wenn sie Männer als Mentoren und Förderer in ihrer Karriere miteinbeziehen.

Unbestritten ist die Tatsache, das belegen empirische Studien, dass insbesondere starke weibliche Vorbilder eine große Wirkung auf Mädchen und Frauen entfalten. Es muss uns also auch aus diesem Grunde gelingen, Frauen verstärkt in männlich geprägte Berufe zu bringen und hier deren Anteil an Führungspositionen zu steigern.

Ein weiterer Vorteil: Gemischte Teams bieten einen echten Mehrwert: Sie reagieren schneller, hören verschiedene Standpunkte an, verwerfen Ideen nicht so schnell und gehen weniger Risiken ein. Forschungsergebnisse belegen, dass Firmen mit mehr Vielfalt höhere Gewinne erzielen, produktiver und innovativer sind. Neues entsteht nämlich nicht, wenn alle exakt gleich denken, sondern unterschiedliche Meinungen und Charaktere aufeinandertreffen. Die Themen Inklusion und Diversity schließen letztlich alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Religion oder möglicher Beeinträchtigungen ein. Wir haben als Unternehmen aber auch eine gesellschaftliche Verantwortung: Wenn wir es nicht schaffen, mehr Frauen in gut bezahlte Jobs, die es gerade in der IT-Branche gibt, zu bekommen, droht auch der nächsten Generation ein erhöhtes Armutsrisiko, spätestens im Rentenalter.

adesso selbst treibt seit einem Jahr die Umgestaltung seiner bislang stark männlich geprägten Führungsriege voran, dieser kulturelle Change-Prozess wird uns noch länger beschäftigen. Dazu bieten wir im Unternehmen Coaching-, Talentförderungs- und Weiterbildungsprogramme speziell für Mitarbeiterinnen an. Gemeinsam mit unserer „She for IT“-Schirmherrin, Fußball-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, bauen wir elf unserer IT-Expertinnen im Rahmen einer „adesso-Elf“ auf, die als Vorbilder nach innen und nach außen wirken können.

Auf diese Weise möchten wir mit typischen IT-Klischees aufräumen und dazu beitragen, dass Mädchen und Frauen ein anderes Bild von IT bekommen: von einem spannenden, zukunftssicheren Job mit Karrierechancen. Die Förderung und Gleichstellung von Frauen muss dabei zur Chefsache werden, wenn sich etwas ändern soll.

* Dirk Pothen ist Mitglied des Vorstands der adesso SE und hier verantwortlich für das Ressort Personal. In dieser Position treibt er maßgeblich die adesso-Initiative „She for IT“ voran. Zudem ist er zuständig für die Geschäftsbereiche Automotive & Transportation, Manufacturing Industry und Microsoft sowie für die Auslandsgesellschaften adesso Austria GmbH, adesso Bulgaria EOOD, adesso Schweiz AG und adesso Turkey Bilgi Teknolojileri Ltd. Şti. Auch die adesso-Beteiligungen ARITHNEA GmbH und com2m GmbH fallen in seinen Zuständigkeitsbereich.


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