9. März 2023 von Yelle Lieder
Nachhaltige Prozesse und Systeme: Nachhaltigkeit mit digitalen Technologien umsetzen
Anfang 2023 wurden die Anforderungen zur Offenlegung nachhaltigkeitsrelevanter Informationen und Ziele für viele Unternehmen noch einmal verschärft. Zuwiderhandlung bedeutet nicht nur das Risiko eines Reputationsschadens, sondern im Zweifel auch sensible Geldstrafen von bis zu 10 Millionen Euro oder 5 Prozent des Jahresumsatzes. Betroffen sind bis 2028 rund 15.000 Unternehmen in Deutschland und circa 50.000 in der EU. Quasi analog verhält es sich mit dem Lieferkettengesetz, von dem dieses Jahr jedes Unternehmen mit über 3.000 und ab nächstem Jahr jedes Unternehmen mit über 1.000 Mitarbeitenden betroffen ist.
In Unternehmen, die vordenken, bedeutet die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen jedoch weit mehr als nur die Erfüllung von Compliance-Anforderungen. Sie wollen einfach besser werden in dem, was sie machen. Effizienter, effektiver, kostenbewusster und resilienter, und das bringt eben auch Nachhaltigkeit mit sich. Im letzten Blog-Beitrag zur Rolle von Nachhaltigkeitsdaten haben wir betrachtet, warum man Nachhaltigkeit zunächst verstehen muss, um nicht in wirkungslosen Aktionismus zu verfallen. Mit Daten allein ist jedoch noch keine Nachhaltigkeit geschaffen. In diesem Blog-Beitrag betrachten wir deshalb, wie man auf dieser Basis informierte Entscheidungen treffen kann, um unterstützt durch Technologien wirklich nachhaltiger zu werden.
Herausforderungen
Nachhaltigkeit ist ein komplexes Handlungsfeld. Es geht um Umweltauswirkungen (ökologische Nachhaltigkeit), gesellschaftliche Themen (soziale Nachhaltigkeit) und am Ende muss das Ganze auch noch wirtschaftlich tragfähig (ökonomische Nachhaltigkeit) sein. Jede dieser Dimensionen birgt ihre eigenen Herausforderungen und so stellt sich häufig die Frage: „Wo überhaupt anfangen?“
Werfen wir einen Blick auf die ökologische Dimension, so geht es um weit mehr als nur CO2-Emissionen. Unternehmen müssen zukünftig auch ihren Wasserverbrauch, Abfall und sonstige Umweltauswirkungen berücksichtigen, wenn sie im Rahmen der neuen Berichtspflichten ihren Nachhaltigkeitsbericht veröffentlichen. Da die Berichte durch externe Dritte verpflichtend geprüft werden, müssen sie zudem in gleicher Weise belastbar sein, wie auch der Finanzbericht. Für Unternehmen bedeutet das im Umkehrschluss, dass jetzt die Zeit für wirkliche Veränderungen hin zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen gekommen ist. Unternehmen müssen aktiv Nachhaltigkeitsrisiken abwenden und ihre eigenen Prozesse so optimieren, dass ihre Umweltauswirkungen minimiert werden. Aufgrund der Komplexität, der Vielfalt und Heterogenität der Datenquellen sowie der Vielzahl involvierter Stakeholder funktioniert das jedoch nicht ohne digitale Technologien. Aufgrund dieser Herausforderungen fokussieren wir uns in diesem Beitrag auf die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit.
Paradigmenwechsel
Mitarbeitende handeln nicht auf Anweisung einfach von heute auf morgen nachhaltiger. Oft fehlt es an nötigen Kompetenzen, Sensibilisierung oder es bestehen Vorbehalte. Hier braucht es adäquates Change-Management. Größere Organisationen haben zwar schon länger Sustainability-Managerinnen und -Manager, diese waren aber historisch oft mehr mit der Erfüllung von Dokumentations- und Nachweispflicht als mit der Erstellung wirkungsvoller Leitlinien ausgelastet.
In einigen Organisationen sehen wir jedoch schon die Entwicklung der Nachhaltigkeitsverantwortlichen hin zu Gestalterinnen und Gestaltern. Organisationen erkennen den Stellenwert eines gezielten Managements und nicht nur der Dokumentation von Nachhaltigkeitsrisiken. Denn zukünftig werden mehr Bereiche in Unternehmen einen Beitrag zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen leisten müssen und nicht nur einzelne Verantwortliche. Hier bildet das Nachhaltigkeitsmanagement das Bindeglied und bricht Silodenken auf. So lassen einige progressive Unternehmen bereits die Kopplung der nachhaltigkeitsbezogenen Zielerreichung und der CO2-Budgets an Anreizmodelle wie dynamische Vergütungsmodelle oder Budgets für Fachbereiche verlauten. Hier ist das Nachhaltigkeitsmanagement zentraler Ansprechpartner. Es ist damit zu rechnen, dass im Rahmen der Operationalisierung der Zielerreichung zukünftig häufiger direkte Anreize für die Erreichung eben jener Ziele in Unternehmen als Instrument genutzt werden. Wer zukünftig also ein CO2-Budget einzuhalten hat, sollte jetzt schon planen, wie Aufwand und Nutzen für mehr Nachhaltigkeit gut in Einklang gebracht werden können.
Nachhaltige Prozesse
Tatsächliche ökologische Nachhaltigkeit entsteht in Unternehmen erst, wenn durch Effizienz- oder Effektivitätsverbesserungen weniger Ressourcen verbraucht werden. Dabei kann es sich sowohl um physische als auch um digitale oder kognitive Ressourcen handeln. Nachhaltige Geschäftsprozesse sind resiliente, skalierbare und kosteneffiziente Prozesse, die sowohl Mensch als auch Umwelt schonen. Dabei können physische Abläufe durch digitale Lösungen dematerialisiert werden, Medienbrüche vermindert und dadurch nicht nur Ressourcen, sondern auch Kosten eingespart werden. Konkrete Beispiele, wie digitale Technologien in den meisten Unternehmensbereichen zu mehr Nachhaltigkeit beitragen können, sind:
- Beschaffung: Wo digitalisierte Supply-Chains-Verantwortliche für den Einkauf mit Vorhersagen aus maschinellem Lernen genau die richtige Menge Rohstoffe für den geplanten Absatz bestellen können. Dadurch werden unnötige Transportaufwände reduziert und insbesondere bei verderblichen Gütern wird der Ausschuss reduziert.
- Leistungserstellung: Durch Simulationen physikalischer Phänomene kann in der Produktentwicklung die Herstellung ressourcenintensiver Prototypen auf das nötigste beschränkt werden. Belastungstests können so etwa in digitalen Zwillingen durchgeführt werden, bevor der finale Test mit dem realen Objekt erfolgt. Im produzierenden Gewerbe können digitale Lösungen mit Monitoring zudem dazu beitragen, die Auslastung und den Verschleiß von Maschinen zu überwachen, und im Zweifel proaktiv eingreifen, um Defekte zu vermeiden und so die Lebensdauer der Maschinen zu verlängern.
- Administration: Nicht nur in den Querschnittsbereichen können Remote Work und virtuelle Meetings dazu beitragen, unnötige Fahrten zu vermeiden und Mitarbeitenden mehr persönliche Freiheit zu schenken. Durch digitale Lösungen wie E-Signaturen und digitale Kommunikationswege können papierbasierte Prozesse minimiert werden und damit potenziell einen kleinen Beitrag zu weniger Papierverbrauch, Transport und Abfall leisten.
Nachhaltige Systeme
Zur Nachhaltigkeit von IT-Systemen wurde in anderen Blog-Beiträgen bereits viel geschrieben. Auch wenn sie längst nicht so einen hohen Wirkungsgrad für die Zielerreichung haben, ist es doch wichtig, in allen Bereichen das einzusparen, was mit vertretbarem Aufwand möglich ist. Einige konkrete Beispiele aus den verschiedenen Phasen des Software Engineerings sind:
- Requirements Engineering: Bereits in der Anforderungsdefinition kann etwa über Service Level Agreements (SLA) Einfluss darauf genommen werden, wie nachhaltig das System schlussendlich ist. Muss das System wirklich bei jeder Interaktion innerhalb weniger Millisekunden reagieren oder genügt es für einige Use Cases vielleicht, Ressourcen langsamer nachzuladen, wodurch weniger Hardware-Ressourcen benötigt werden?
- Konzept und Design: Etwa durch die Vermeidung von Retouren im Online-Shop nach dem Motto „bestelle den Schuh lieber nur in einer Größe, die Retoure kostet sonst 800 g CO2“ oder durch den bedarfsgerechten Einsatz von Medien wie Videos lassen sich sowohl die Funktion als auch technische Aspekte von Systemen positiv beeinflussen.
- Technologieauswahl: Muss es wirklich immer das Framework mit dem größten Funktionsumfang sein, nur für den Fall, dass sich im Nachgang neue Anforderungen ergeben? Oder genügt für den Anfang vielleicht eine leichtgewichtige Variante, die später bedarfsgerecht durch weitere Bibliotheken erweitert werden kann?
- Architektur und Entwicklung: Ist mein System energieeffizient? Nutzt es möglichst wenig Hardware-Ressourcen und wird die Hardware möglichst langfristig genutzt?
- Betrieb und Wartung: Lasten wir unsere Server im eigenen Rechenzentrum möglichst gut aus oder lohnt sich eventuell ein Umzug in die Cloud? Werden Updates mehrmals täglich ausgespielt oder reduzieren wir den Overhead für die Datenübertragung und bündeln die Auslieferung neuer Funktionen?
Bei weltweit 2 bis 4 Prozent der Emissionen durch Software sind die Emissionen der Software, verglichen mit physischen Stoffkreisläufen, – etwa im produzierenden Gewerbe – zwar nicht das dringendste Handlungsfeld, aber dennoch ein Problem, das es zu lösen gilt. Mit der Berücksichtigung von Nachhaltigkeit als gleichwertige Anforderung in der Auswahl und Umsetzung von Systemen können wir einen Beitrag dazu leisten.
Kein Altruismus
Nicht jedes Unternehmen muss gleich das nachhaltigste seiner Klasse werden, aber alle Unternehmen müssen sich ernsthaft damit beschäftigen, wo ihre größten Verbesserungspotenziale liegen. Vor allem sollte sich niemand mit Kleinstmaßnahmen aufhalten, solange die Maßnahmen mit wirklich hohem Wirkungsgrad noch nicht umgesetzt sind. Im Fall der Emissionen hilft hier etwa das Greenhouse Gas Protocol. Mit dessen Einteilung in Scope 1 bis 3 können Heat Maps abgeleitet werden, um zu verstehen, wo sich Verbesserungen lohnen.
Bei allen genannten Maßnahmen handelt es sich zudem nie um reine Selbstlosigkeit. Unternehmen geraten zunehmend von allen Seiten unter Druck, tatsächlich nachhaltiger zu werden. Zudem bietet die nachhaltige Positionierung als Unternehmen heute noch viel Raum für den Ausbau von Wettbewerbsvorteilen. Wichtig ist, dass Verantwortliche jetzt den Schritt von reinen Zielsetzungen und der Erfüllung gesetzlicher Anforderungen hin zu wirkungsvollen Veränderungen machen.
Weitere spannende Themen aus der adesso-Welt findet ihr in unseren bisher erschienenen Blog-Beiträgen.