6. Februar 2025 von Marvin Marwan Baki
KI im Frachtbörsenmodell – Bahnbrechende Chancen für Straßengüterverkehr und Wettbewerb?
Wie bereits im ersten Teil des Blog-Beitrags erläutert, ist der Markt für Frachtenbörsen durch Fragmentierung und ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage gekennzeichnet - das Stichwort lautet VUCA. Zahlreiche Plattformen, sowohl Nischenanbieter als auch etablierte Unternehmen, konkurrieren miteinander. Hinzu kommen neue Wettbewerber, die Frachtenbörsenfunktionen in ihr Geschäftsmodell integrieren. Diese Plattformflut führt zu Intransparenz und Unsicherheit bei den Nutzern. Branchenspezifische Anforderungen und gesetzliche Vorgaben wie Lenk- und Ruhezeiten verschärfen die Leerfahrtenproblematik. Unternehmen setzen häufig auf bewährte Partnerschaften statt auf digitale Frachtbörsen, da Vertrauen und Reputation entscheidend sind. Mittlerweile agieren Verlader und Spediteure auf unterschiedlichen Börsen, wodurch das Bild einer effizienten und synergetischen Transportwirtschaft immer undurchsichtiger wird. Um den Anteil der Leerfahrten zu reduzieren, muss eine börsenübergreifende Informationstransparenz gewährleistet werden. Nur durch Kooperation und Zusammenarbeit können neue Akteure wie digitale Spediteure, 4PL-Anbieter oder Vergleichsportale die etablierten Frachtenbörsen herausfordern.
Ausrichtung nach Open-Source-Prinzipien statt Winner-takes-it-all
Mit dem Aspekt der Plattformisierung grenzen sich die Frachtenbörsen und damit auch ihre Nutzerinnen udn Nutzer voneinander ab, so dass sich der gesamte Verlader- und Transportmarkt auf unterschiedlichen Plattformen bewegt, was dem Ideal einer Plattformökonomie für die Logistik absolut widerspricht. Will man die gesamte Masse des Verlader- und Transportmarktes miteinander vernetzen und die Visionen der heutigen Logistik plattformübergreifend realisieren, müssen die Grenzen der Frachtenbörsenplattformen geöffnet werden, ähnlich wie bei einer Open-Source-Lösung. Open-Source-Technologie bietet die Möglichkeit, verschiedene Plattformen miteinander zu verbinden und so das gesamte Ökosystem zu stärken. Durch die offene Bereitstellung von Software kann eine föderale Plattformökonomie entstehen, in der Unternehmen gemeinsam an Lösungen arbeiten und ihre Zusammenarbeit über Plattformgrenzen hinweg erleichtern.
Die eigentliche Herausforderung besteht darin, bestehende Frachtenbörsen miteinander zu vernetzen, anstatt völlig neue Strukturen zu schaffen. Dies würde den Informationsaustausch fördern und eine engere Zusammenarbeit ermöglichen. Eine solche plattformübergreifende Kooperation könnte die Markttransparenz erhöhen und Leerfahrten reduzieren. Anstatt dass mehrere Börsen nach dem monopolistischen "Winner-takes-it-all"-Prinzip gegeneinander antreten, werden gemeinsam Synergieeffekte erzielt und es gelingt, Ladungen und Transportdienstleistungen zu konsolidieren, was das "Big Picture" überschaubarer macht. Verlader und Spediteure hätten so Zugang zu einem breiteren Angebot, das auch kleinere Nischenbörsen einschließt, was wiederum den Problemen der Branchenspezifizierung und Plattformüberflutung entgegenwirkt.
Künstliche Intelligenz als Triebwerk für eine konsolidierende Instanz der Frachtbörsen
Um Leerfahrten zu reduzieren und die Effizienz des Transportmarktes zu steigern, ist es entscheidend, dass freie Laderaumkapazitäten eines Frachtführers allen relevanten Spediteuren und Verladern zugänglich gemacht werden - und umgekehrt. Je umfassender der Markt adressiert wird, desto größer ist die Chance, ideale Partner zu finden. Heute sind diese Möglichkeiten jedoch durch die geschlossenen Systeme der Frachtenbörsen stark eingeschränkt.
Die Lösung ist eine konsolidierende übergeordnete Instanz, die die bestehenden Plattformen miteinander vernetzt, ohne deren Geschäftsmodelle aufzugeben. Diese Instanz ermöglicht eine zentrale, plattformübergreifende Suche nach Transportangeboten und agiert als neutraler Vermittler. Sie hat Zugriff auf Echtzeitdaten aus Ausschreibungen, Katalogen und Auktionen - von Nischenbörsen bis hin zu etablierten Marktführern - und macht alle Angebote für Verlader und Spediteure transparent und vergleichbar.
Die Rolle von KI
Künstliche Intelligenz ist das Herzstück dieser übergeordneten Instanz. Sie sorgt dafür, dass die fragmentierte und dynamische Struktur des Transportmarktes erhalten bleibt, indem sie eine präzise und individuelle Filterung ermöglicht. Verlader können über die KI-Instanz nicht nur nach Transportkapazitäten suchen, die ihren Anforderungen an Zeit, Preis und Route entsprechen, sondern auch erweiterte Kriterien wie spezifische Transportbedingungen, Vertragskonditionen oder Plattformeigenschaften definieren.
Die KI berücksichtigt dabei nicht nur die Angebote der Frachtenbörsen, sondern analysiert auch Plattformeigenschaften und Unternehmensdaten. Auf diese Weise können unter anderem folgende Parameter berücksichtigt werden
- Dynamische Preismodelle (zum Beispiel Auktionen oder Festpreise)
- Vergabeverfahren (zum Beispiel Spot- oder Kontraktmarkt)
- Branchenfilter (zum Beispiel Lebensmittel oder Forstwirtschaft)
- Vertrags- und Zahlungsbedingungen (zum Beispiel E-Payment oder Vertragslaufzeiten)
- Nachhaltigkeitsaspekte der Unternehmen
- Rezensionen und Vertrauensmerkmale der Anbieter
- Sendungsverfolgung (zum Beispiel Echtzeit-Tracking)
- Sicherheitsstandards der Börsen und Anbieter
- Kostenmodelle der Frachtbörse (zum Beispiel Abonnement oder transaktionsbasierte Gebühren)
- Service-Level-Agreements (zum Beispiel Kundensupport oder Reaktionszeiten)
- Verfügbare Transportequipment-Kategorien (zum Beispiel Kühltransporter oder Tieflader)
- Ladungsspezifikationen (zum Beispiel Gewicht, Volumen oder Gefahrgut)
Durch dieses KI-gestützte Matching können Verlader und Transporteure sicherstellen, dass alle relevanten Angebote berücksichtigt werden, ohne auf Plattformgrenzen Rücksicht nehmen zu müssen. Selbst wenn kein exakt passendes Angebot vorhanden ist, schlägt die Instanz Alternativen vor, die den definierten Parametern am nächsten kommen. Die folgende Abbildung abstrahiert die wegweisende KI-Instanz für eine synergetische Frachtenbörse:
![KI-Oberinstanz zur Konsolidierung des Frachtbörsenmarktes KI-Oberinstanz zur Konsolidierung des Frachtbörsenmarktes](/adesso-de/adesso-de/news/blog/2025/2025-02-03-kuenstliche-intelligenz-im-frachtboersenmodell-2_W686xH343_CUTOUT.png)
KI-Oberinstanz zur Konsolidierung des Frachtbörsenmarktes
Die Vorteile der zentralen Instanz
Eine solche Lösung schafft Transparenz, fördert die Interaktion zwischen den Marktteilnehmenden und reduziert Intransparenz und Misstrauen. Sie motiviert auch kleinere Transportunternehmen, auf digitale Marktplätze umzusteigen, da Filter wie Bewertungen und Sicherheitsstandards das Vertrauen stärken. Der Aufbau eines internationalen und branchenunabhängigen Partnernetzwerks wird erleichtert und verlagert sich von der Pflege bewährter Kontakte hin zur Vernetzung über bundesweite Plattformen.
Durch den Zugriff auf alle relevanten Angebote zu individuellen Konditionen wird die Effizienz im Straßengüterverkehr deutlich gesteigert und Leerfahrten werden signifikant reduziert, da alle potenziellen Kapazitätsreserven aller Transportbeteiligten transparent am Markt angeboten werden. Durch die Optimierung der Logistikprozesse können die Straßen entlastet und ein positiver Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung im Verkehr geleistet werden.
Use Case
Flottenmanagement und Verkehrsflusssimulation im öffentlichen Kontext
KI-Systeme steigern die Verkehrseffizienz, senken Kosten und reduzieren Umweltbelastungen, wie bereits in anderen Bereichen von Smart Cities und Flottenmanagement bewiesen. Unsere KI-gestützten Simulationsmodelle ermöglichen datenbasierte und nachhaltige strategische und operative Entscheidungen. Gleichzeitig werden einzelne Faktoren wie CO₂-Emissionen, Ressourceneinsatz und Verkehrsdichte optimiert.
Innovation braucht einen starken Transformationsimpuls aus allen Richtungen, sei es für Smart Cities oder KI-gestützte Frachtbörsen. Der Zeitfaktor spielt dabei eine entscheidende Rolle, da infrastrukturelle Herausforderungen, Skepsis der Stakeholder und wirtschaftliche Unsicherheiten oft hinderlich sind.
Herausforderungen und radikale Einflüsse auf den Wettbewerb
Datenschutz und -sicherheit
Datenschutz und -sicherheit sind von entscheidender Bedeutung, da die Offenlegung sensibler Daten wie Transportkapazitäten und Frachtbedarf potenziell missbraucht werden könnte. Um das Vertrauen der Nutzer zu gewährleisten, müssen strenge Datenschutzmaßnahmen sowie Überwachungs- und Rückverfolgbarkeitsmechanismen eingeführt werden.
Skepsis und Vertrauen
Ein weiteres Hindernis ist die Skepsis und das Misstrauen der Disponenten. Viele zweifeln an der Zuverlässigkeit der KI und ihrer Partnerempfehlungen. Transparente Prozesse und fehlerfreie Umsetzungen sind entscheidend, um Vertrauen aufzubauen und Akzeptanz zu fördern.
Veränderung der Marktstrukturen
Ein wichtiger Faktor ist die Veränderung der Marktstrukturen. Die Automatisierung durch KI könnte traditionelle Arbeitsweisen und Geschäftsmodelle, wie beispielsweise die Rolle von Frachtbörsen, stark beeinflussen. Disponenten könnten durch automatisierte Prozesse entlastet werden, während die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Frachtenbörsen durch plattformübergreifende Vernetzung abnehmen könnte.
Technische Hürden
Hinzu kommen technische Hürden wie die Standardisierung und Integration heterogener Datenquellen. Die Qualität, Aktualität und Dynamik der Daten sind entscheidend für die Effizienz der KI-Lösung, aber bestehende technische Barrieren und unterschiedliche Interessen der Akteure erschweren eine reibungslose Umsetzung.
Kooperationen
Die größte und letzte Herausforderung liegt in der Kooperationsfrage. Um die Frachtenbörsen zur Zusammenarbeit zu motivieren, muss der wirtschaftliche Nutzen klar aufgezeigt werden. Insbesondere den marktbeherrschenden Börsen müssen die Vorteile und der verkehrswirtschaftliche Druck zur synergetischen Zusammenarbeit verdeutlicht werden. Eine durchdachte Konzeption und Visualisierung von Faktoren wie der Erhalt eines wettbewerbsfähigen Marktes, die Erschließung neuer Geschäftsmodelle und der Zugang zu einem erweiterten Kundenkreis sind hierfür der Schlüssel. Ein begleitendes Modell sollte sowohl die Nutzer der Frachtenbörsen als auch die Börsen selbst über die Vorteile, die Wirtschaftlichkeit und die Datennutzung informieren, um eine erfolgreiche Markteinführung der KI-Software zu gewährleisten.
Entdeckt innovative Lösungen für die VUCA-Welt der Logistik
Nicht nur an den Frachtenbörsen sind die Auswirkungen der VUCA-Welt zu spüren. Politische Einflüsse, rasante Marktveränderungen und ständig schwankende Kundenanforderungen erfordern Resilienz und Reaktionsfähigkeit. Habt ihr Fragen oder steht ihr vor ähnlichen Herausforderungen? Dann nehmt unverbindlich Kontakt auf. Wir stehen euch mit unserer Expertise zur Seite.