„KI made in Germany“ soll zu einem internationalen Markenzeichen für moderne, sichere und gemeinwohlorientierte Anwendungen rund um Künstliche Intelligenz werden. Dieses Ziel hat sich die Bundesregierung auf die Fahne geschrieben, um im internationalen Vergleich nicht länger den Anschluss zu verlieren. Fleißig rührt Angela Merkel die Werbetrommel für die neuen Technologien, erst kürzlich forderte sie Gesellschaft und Wirtschaft im Rahmen eines Informationsaustausches mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden auf, sich für KI zu öffnen. Wortwörtlich sagte die Kanzlerin: „Wir alle müssen umlernen, egal ob in der Unternehmensführung, in der Politik oder aber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Nur dann können die Menschen die Chancen wahrnehmen, die sich aus diesen dramatischen Veränderungen ergäben.“ Recht hat sie. Damit KI aber einerseits seine vollen Stärken ausspielen kann und andererseits von den Menschen akzeptiert wird, braucht es transparente und sinnvolle KI-Lösungen. KI-Lösungen, die individuelle Herausforderungen und Arbeitsaufgaben adressieren, und keine KI, die außer Rand und Band gerät.
Was KI alles kann, hat sie längst unter Beweis gestellt: Sie fährt im dichtesten Stadtverkehr Auto. Sie weiß, welchen Film der Zuschauer als nächsten sehen will. Sie hat ein besseres Auge für die Diagnose von Hautauffälligkeiten als Mediziner. Und sie erkennt die Lieblingskatze auf den Urlaubsschnappschüssen. KI-Lösungen spielen in zwei Szenarien ihre Stärken aus: einerseits im Umfeld komplexer und verschachtelter Entscheidungsprozesse. Mithilfe von Regelwerken modellieren Entwickler Abläufe, die, begrenzt auf eng definierte Anwendungsfälle, die kognitiven Fähigkeiten von Menschen imitieren. Andererseits sind KI-Anwendungen sinnvoll, wenn Experten mit großen Datenmengen arbeiten. Beim Erkennen von Strukturen und Zusammenhängen auf Basis beliebig vieler Parameter sind entsprechende Lösungen Menschen überlegen. Auf diesen beiden Szenarien lassen sich Angebote entwickeln, die in die bisher von Menschen dominierten Domänen eindringen. Und das macht vielen Angst.
Warum? Die Antwort kann nur lauten: Weil es ein Transparenzproblem gibt. Das mangelnde Wissen darüber, was KI genau macht, führt zu Sorgen um den Datenschutz und zu diffusen Ängsten. Nicht verwunderlich, immerhin entscheiden Algorithmen schon heute über die Kreditwürdigkeit von Kunden oder die Vergabe von Arbeitsplätzen. Wer allerdings kontrolliert die Algorithmen? Diese Frage ist berechtigt angesichts der Tatsache, dass Ergebnisse aufgrund von „Voreingenommenheit“ – besser gesagt aufgrund von nicht ausreichend neutral konfigurierten Parametern – verfälscht sein können. Damit KI in Unternehmen erfolgreich eingesetzt werden kann, müssen zudem verschiedene andere Punkte geklärt werden: Wie kann die Sicherheit gewährleistet werden? Wer haftet, wenn bei Arbeitsprozessen KI-Lösungen eingesetzt werden? Welche Grenzen muss der Mensch definieren, damit KI bis zum Schluss kontrollierbar bleibt? Welche Rolle spielt der Aspekt Ethik bei KI? Die Unternehmenslenker sind zudem gefordert, ihre Mitarbeiter auf die Reise mitzunehmen, indem sie Akzeptanz für KI-Lösungen schaffen. Sie müssen verdeutlichen, welche Vorteile beispielsweise der Einsatz von Automatisierungsroutinen bringt. Beschäftigte dürfen nicht das Gefühl bekommen, einem seelenlosen Apparat ausgeliefert zu sein oder dass KI ihnen den Job streitig macht.
Unternehmen müssen aber auch bedenken, dass nicht jede KI-Anwendung automatisch ein Heilsbringer ist. Nüchtern betrachtet, sind sie nur ein weiteres Werkzeug im Werkzeugkasten der IT-Experten. Es gibt Einsatzszenarien, bei denen KI-Anwendungen bessere Ergebnisse liefern. Solche, die Mitarbeitern helfen, Informationen schneller zu finden, Aufgaben besser zu bewältigen oder Prozesse effizienter abzuwickeln. Aber daraus lässt sich keine generelle Überlegenheit ableiten. Erfolgreiche KI-Projekte basieren auf einem detaillierten Verständnis für die Anforderungen der eigenen Branche, des eigenen Unternehmens und der eigenen Kunden. Sie erfordern Diskussionen zwischen Fach- und IT-Abteilung ebenso wie das kenntnisreiche Bewerten von Technologien und ihren Möglichkeiten.
Klar ist, die Black Box Künstliche Intelligenz muss geöffnet werden. Die Menschen haben ein Recht auf Transparenz. Wenn Unternehmen dann noch bei aller Euphorie über KI den Blick für die Arbeit in der Praxis behalten, sind die Möglichkeiten fast grenzenlos.
Prof. Dr. Volker Gruhn gründete 1997 die adesso AG mit und ist heute Vorsitzender des Aufsichtsrats. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Software Engineering an der Universität Duisburg-Essen und gehört seit dem 1. März 2019 dem Hochschulrat der Universität Leipzig an.