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Wie man ein Unternehmensleitbild durch OKR zum Leben erweckt

In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich zusammengefasst, warum ein Unternehmen ein Leitbild haben sollte, was ich darunter verstehe und wie ihr mittels Leitfragen ein solches Leitbild entwickeln könnt. Ganz wesentlich ist dabei, im Rahmen der Entwicklung eine breit diversifizierte Gruppe von Menschen im Unternehmen und deren Meinung mit einzubeziehen. Gleichwohl ist dann bis hierhin nur ein erster Schritt getan.

Denn es handelt sich um einen Veränderungsprozess, und wie bei jeder Veränderung kommt es darauf an, die Menschen schrittweise abzuholen und mitzunehmen. Sonst bleibt das beste Leitbild im Wesentlichen ein netter Papiertiger.Daher soll es heute darum gehen, wie sich ein solch ambitioniertes Konstrukt zum Leben erwecken lässt. Zum besseren Verständnis fasse ich zuerst noch einmal kurz die wesentlichen Elemente eines Leitbildes und ihre Definition zusammen, bevor ich zur OKR-Methode komme.

Unser Zweck (Purpose), unsere Vision, unsere Haltung und unsere Werte (Mindset) sind idealerweise immergrün. Die Mission gibt uns ein Zielbild für einen Zeithorizont von ein bis drei Jahren. Schließlich geben uns die strategischen Handlungsfelder einen Eindruck davon, wen oder was wir für eine erfolgreiche Mission benötigen.

Als Nächstes geht es jetzt darum, die Mission zu operationalisieren, also konkret ins Handeln zu kommen, ohne dabei den Fokus zu verlieren. Hier kommen nun die Objectives und Key Results (OKR) ins Spiel. Diese sind das Bindeglied zwischen der strategischen und der operationalen Ebene und definieren die kurz- bis mittelfristigen Ziele (Quartals- und Jahresziele) innerhalb der strategischen Handlungsfelder.

Nachfolgende Abbildung verdeutlicht die Zusammenhänge:

Grundlagen der OKR-Methode

Ein Objective beschreibt ein operatives Ziel beziehungsweise einen Zielzustand zunächst einmal qualitativ. Die dazugehörigen Key Results definieren hingegen den Zielzustand oder die verschiedenen Erfolgstreiber auf dem Weg zum Zielzustand quantitativ.Auf Basis des Leitbildes fangen wir mit maximal drei bis fünf Objectives an, etwa einem pro strategisches Handlungsfeld. Zu jedem Objective definieren wir dann drei bis vier Key Results. Alle Objectives auf dieser obersten Ebene sollten innerhalb eines Jahres erreichbar sein.

Nehmen wir beispielsweise an, ein Versicherungsunternehmen hat als wesentlichen Erfolgstreiber das strategische Handlungsfeld Online-Verkaufskanal abgesteckt. Dann könnte ein Jahres-OKR wie folgt formuliert sein:Als Versicherungsunternehmen werden wir den Onlinekanal stärken, um unseren online-affinen Kundinnen und Kunden den bestmöglichen Versicherungsschutz kostengünstig, einfach, transparent und nachvollziehbar über diesen Kanal anbieten zu können (Objective):

  • Wir bieten mindestens fünf neue oder optimierte Produkte über den Online-Kanal an (Key Result 1)
  • Auf Vergleichsportal A erreichen die Produkte in der Standardsucheinstellung einen der ersten drei Plätze (Key Result 2)
  • Kundinnen und Kunden bewerten den Abschluss über unseren Online-Kanal durchschnittlich mit 4,6 Sternen (Key Result 3)
  • In Summe erzielen wir über den Online-Kanal x (Vertrags-)Abschlüsse (Key Result 4)

An diesem Beispiel ist folgendes zu beachten:

  • Die Unternehmensleitung gibt in „Key Result 1" nicht vor, welches konkrete Produkt online angeboten werden soll.
  • „Key Result 2“ beschreibt möglichst konkret, welches Vergleichsportal auf welche Weise zur Messung herangezogen werden soll.
  • Kundinnen und Kunden sollen im Mittelpunkt stehen, weshalb „Key Result 3“ konkrete Zielvorgaben für eine Kundinnen- und Kundenbewertung beinhaltet. Alternativ zur Fünfsterne-Bewertung könnte hierfür auch der Net Promoter Score (NPS) genutzt werden.
  • „Key Result 4“ beinhaltet Zielvorgaben für den Gesamterfolg des Objectives. Diese könnten auch monetärer Natur sein.
  • Weitere Detailvorgaben - beispielsweise eine konkrete Conversion Rate oder ein Automatisierungsgrad (Dunkelverarbeitungsquote) - fehlen hingegen, da diese in der Regel auf operativer Ebene besser eingeschätzt werden können.
  • In ihrer Gesamtheit sollten die Key Results nie ausschließlich aus monetären Zielen bestehen. Key Results lassen sich zwar am Ende in Bilanzen ablesen, die monetäre Wirkung lässt sich aber sehr häufig nicht einzelnen Maßnahmen als Ursache zuordnen. So ist "Key Result 3“ zum Beispiel hervorragend zur Beurteilung der Kundinnen- und Kundenzufriedenheit geeignet. Nur kann am Ende niemand sagen, wieviel Geld uns die 4,6 Sterne eingebracht haben.

Damit haben wir nun den Grundstein dafür gelegt, die Ziele auf die verschiedenen Unternehmenseinheiten herunterbrechen zu können. Jede Unternehmenseinheit kann jetzt die strategischen Handlungsfelder für sich präzisieren und selbst drei bis fünf Jahres-OKR festlegen, die auf die Unternehmens-OKR einzahlen sollten.

Im genannten Beispiel wären jetzt also die Versicherungssparten -etwa Lebens-, Kranken- oder Sach¬versicherungen - nach ihren Jahres-OKR gefragt. Hierbei sollte es sich aber keinesfalls um eine hierarchische Zuweisung von Zielen handeln. Vielmehr müssen die OKR zwischen der Unternehmensleitung und den einzelnen Einheiten im Verhandlungs- oder noch besser im Pull-Verfahren vereinbart werden. Denn schließlich können die genannten Sparten am besten einschätzen, wie gut der Online-Kanal für einen Versicherungsabschluss geeignet ist. Es kann beispielsweise vorkommen, dass die Sachversicherungssparte sich sechs neue Online-Produkte vornimmt, während die Sparten Kranken- und Lebensversicherung zunächst keinen direkten Zielbeitrag leisten.Auf der anderen Seite können die Einheiten innerhalb der strategischen Handlungsfelder auch OKR festlegen, die nicht direkt auf Unternehmens-OKR einzahlen. Auch hier verfügen die Einheiten über mehr und besseres Detailwissen über den eigenen Bereich als die Unternehmensleitung.

Auf unser Beispiel bezogen, könnten also die Kranken- oder Lebensversicherungssparte den Online-Kanal auch durch neue oder bessere Online-Kundenservices stärken. Das bringt zwar kein Neugeschäft, kann aber das Bestandsgeschäft und die Kundenzufriedenheit verbessern.

Ist die Jahres-OKRs für die Unternehmenseinheiten abgestimmt, können diese weiter runter bis auf Team-Ebene gebrochen werden. Jedes Team hat dann eine klare Richtung für das nächste Jahr und kann damit beginnen, die Ziele für eine erste Etappe - in der Regel für ein Quartal - zu definieren. Hierzu erstellen die Teams für sich je drei bis fünf Quartals Objectives mit je drei bis vier Key Results, die dann mit den darüberliegenden Einheiten abstimmt und verhandelt werden.

Um unser Beispiel wieder aufzugreifen, könnte das dann wie folgt aussehen:Als Team werden wir eine neue Online-Antragsstrecke für den Abschluss von Hausratversicherungen starten, um unseren Kundinnen und Kunden möglichst einfach, transparent und nachvollziehbar einen Online-Abschluss zu ermöglichen (Objective):

  • Im Research wird ein System-Usability-Scale-Wert (SUS-Wert) von mindestens 80 Punkten erreicht (Key Result 1)
  • Es wird eine Conversion Rate (CVR) von mindestens 30 Prozent (Key Result 2)
  • Es wird eine Anzahl von x Anträge pro Woche erreicht (Key Result 3)
  • Die Kundinnen und Kunden bewerten die Online-Beantragung mit durchschnittlich 4,6 Sternen (Key Result 4)

Auch hierbei sind ein paar wichtige Punkte zu beachten:

  • Key Result 1 ist kein Ergebnisziel oder Zielzustand, sondern ein Aktivitätsziel - also ein Erfolgstreiber auf dem Weg zum Zielzustand. Solche Ziele sichern nicht automatisch den Erfolg, können aber dennoch hilfreich sein, um frühzeitig, noch vor Produktionsstart die Erfolgsaussichten messbar zu machen. Keinesfalls sollten aber die Key Results ausschließlich aus Aktivitätszielen (etwa Meilensteinpläne) bestehen.
  • SUS-Wert und CVR (Key Results 2+3) sind Metriken, die auf Teamebene sehr gut eingeschätzt werden können. Sie ergänzen die Key Results der Unternehmensebene. Um aber ein einheitliches Verständnis dieser Metriken im gesamten Unternehmen zu gewährleisten, sollte ihre Definition und Bedeutung an geeigneter Stelle erklärt sein.
  • Key Result 3 + 4 beziehen sich lediglich auf den ersten Prozessschritt - also auf die reine Online-Beantragung. Das ist eine klare Abgrenzung vom gesamten nachgelagerten Verarbeitungsprozess bis zum (Vertrags-)Abschluss, auf den sich die Key Results auf Unternehmensebene beziehen. Ein wichtiger Grundsatz bezüglich der OKR ist, dass das verantwortliche Team die Möglichkeiten, Fähigkeiten, Entscheidungsfreiheiten und Hilfsmittel haben muss, um das OKR zu verfolgen und zu erreichen. Auf diese Weise können Verantwortungslücken entstehen – beispielsweise, wenn kein Team End-To-End-Verantwortung für den Prozess übernehmen will. Die OKR-Methode zeigt solche Lücken gut auf, sie löst sie aber nicht. Unternehmen, die solche Probleme feststellen, sollten daher besser anhand einer Wertstromanalyse den Teamzuschnitt und die Verantwortlichkeiten überdenken.
  • Kein Key Result sagt etwas über die angestrebte Dunkelverarbeitungsquote aus. Dies trägt dem Umstand Rechnung, im ersten Quartal durch ein Minimum Viable Product (MVP) die Time-To-Market beziehungsweise Time-To-Value zu minimieren und die Nutzenhypothesen schnellstmöglich zu validieren. Eine geeignete Methode, mit der ihr euch schrittweise einer optimalen Lösung annähern und die Risiken von Fehlentwicklungen minimieren könnt, ist Build-Measure-Learn. Mehr darüber erfahrt ihr in meinem bereits erschienen Blog-Beitrag.
  • Bei positiven Ergebnissen kann dann in Folgeperioden die Dunkelverarbeitung - in der Regel mit Unterstützung weiterer Teams - eingeführt und kontinuierlich verbessert werden. Aus Transparenzgründen kann es aber hilfreich sein, in einem weiteren Key Result die Dunkelverarbeitungsquote von null Prozent explizit auszuweisen, auch wenn dadurch die OKR-Methode nicht exakt eingehalten wird.

Bei konsequenter Umsetzung entsteht so eine stringente Verknüpfung zwischen der operativen und der strategischen Ebene, die direkt auf die Mission und Vision des Leitbildes einzahlt. Wie das obige Beispiel gezeigt hat, sind die OKR dabei weder rein hierarchisch noch vollständig kaskadierend heruntergebrochen. Vielmehr empfiehlt es sich, nur etwa 40 Prozent der OKR top-down zu definieren und bis zu 60 Prozent bottom-up. Auf diese Weise können auch die Detailkenntnisse aus der operativen Ebene auf natürliche Weise in die strategische Ebene hineinspielen.

OKR-Plannings, -Reviews und -Retros

Das Aushandeln und Festlegen der Jahres- und Quartals-OKR ist ein weiterer Schritt zum Erfolg. Hierzu bedarf es einer vorbereitenden Planung, in deren Verlauf die beteiligten Parteien ihre Vorstellung der OKR (top-down versus bottom-up) nebeneinanderlegen und final vereinbaren. Dieses OKR-Planning ist also mehr eine vorbereitende Phase als ein einzelnes Meeting. Je mehr ihr euch von einem Push-Verfahren entfernt und einem Pull-Verfahren annähert, desto agiler werden eure Teams und euer gesamtes Business.

Im täglichen operativen Geschäft berichten die Teams dann regelmäßig über den Grad der Zielerreichung. Solche OKR-Reviews lassen sich in agilen Unternehmen wunderbar mit den Sprint-Reviews vereinbaren. Ebenso wie die regelmäßigen OKR-Retrospektiven, die uns dabei helfen, nachzujustieren, mit den agilen Retrospektiven verbunden werden können. Auf den höheren Ebenen erfolgen die OKR-Reviews und -Retrospektiven einmal pro Quartal, unmittelbar vor der nächsten OKR-Planung.

Historie der OKR-Methode

Noch ein paar Worte zur Historie: Die Methode ist nicht neu, sie hat ihre Wurzeln bereits in den 1950er Jahren. 1954 beschrieb Peter F. Drucker die Führungstechnik „Management by Objectives“ in seinem Buch „The Practice of Management“.

Später, in den 1970er Jahren, verfeinerte Andrew Grove als CEO der Firma Intel die Methode und publizierte 1975 zu diesem Thema in seinem Buch „High Output Management“. Mit an Bord war seinerzeit ein gewisser John Doerr. Ende der 1990er Jahre war es dann eben dieser John Doerr, der von Intel zu Google wechselte und die Methode unter dem Namen Objectives and Key Results (OKR) populär gemacht hat. Damit hat er wohl maßgeblich zum Erfolg von Google beigetragen.

In der Folgezeit haben bis heute weltweit unzählige große und kleine Unternehmen die Methode für sich adaptiert. Hierzu zählen unter anderem Amazon, Meta (Facebook), Samsung, Baidu, Tencent, Netflix, Spotify, Adobe, aber auch deutsche Konzerne wie Zalando, BMW oder E.ON.

Fazit

Die wichtigste Grundlage für den Unternehmenserfolg ist es, sich Ziele zum Nutzen der Kunden zu setzen. Damit alle im Unternehmen ein einheitliches Verständnis davon haben, bedarf es eines Leitbildes. Nur darauf lässt sich eine Strategie aufbauen. Damit diese kurz-, mittel- und langfristigen Ziele auf allen Ebenen des Unternehmens sinnvoll ineinandergreifen, müssen sie für alle verständlich formuliert und transparent einsehbar sein.

Die Beschränkung auf wenige OKR auf allen Ebenen und Zeitscheiben schafft den zwingend notwendigen Fokus. Zu viele Unternehmen verfahren heute noch nach der Devise einer maximalen Parallelisierung und steigern damit leider das Risiko des Scheiterns. Bei konsequenter Umsetzung unterstützen Objectives und Key Results einen wichtigen agilen Grundsatz zu beherzigen: Stop starting! Start finishing! Dieser Grundsatz sollte insbesondere in den Führungsetagen ernst genommen werden, denn der Fokus fängt ganz oben an.

Die OKR-Methode lässt sich hervorragend in agile Prozesse einpassen. Die hierfür notwendigen zusätzlichen Aufwände sind gut investierte Zeit. Einerseits können wir dadurch in den Teams selbstbestimmt und fokussiert arbeiten und andererseits ist sichergestellt, dass wir damit auf die strategischen Unternehmensziele einzahlen. Mehr noch: Durch die Durchlässigkeit der OKR von unten nach oben können wir die Unternehmensstrategie positiv beeinflussen.

Weitere spannende Themen aus der adesso-Welt findet ihr in unseren bisher erschienen Blog-Beiträgen.

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Bild Joachim  Flierdl

Autor Joachim Flierdl

Joachim Flierdl ist seit vielen Jahren als Consultant und Agilist bei adesso tätig. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der Beratung von Product Ownern und Business Analysten. Darüber hinaus beschäftigt er sich intensiv mit digitalen Kundenservices.

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