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Unternehmenskultur – Mythos oder Wahrheit?

Gibt es die Unternehmenskultur wirklich? Oder handelt es sich um einen Mythos? Es wird immer wieder gerätselt, was die Unternehmenskultur definiert und wie sie sich beeinflussen lässt. So einfach ist es jedoch nicht. Denn Fakt ist: Es gibt nicht die eine Unternehmenskultur. Werfen wir zuerst einen Blick auf den allgemeinen theoretischen Ansatz einer Unternehmenskultur.

In den 1950er Jahren haben sich der US-amerikanische Anthropologe und Kulturrelativist Alfred L. Kroeber und sein Kollege, der US-amerikanische Ethnologe und Soziologe Clyde Kluckhohn, aufgemacht, dem Begriff Unternehmenskultur eine Definition zu geben. Es entstanden 156 unterschiedliche Begriffserklärungen. Bis heute herrscht keine eindeutige Übereinstimmung, was genau mit Unternehmenskultur gemeint ist. Das macht es also nicht unbedingt einfacher.

Im Allgemeinen lässt sich jedoch Folgendes festhalten: Eine Unternehmens- oder Organisationskultur ist ein System gemeinsam gestalteter und geteilter Muster des Denkens, Fühlens und Handelns sowie die Summe bestehender und gelebter Normen und Werte. Die Gesamtheit der gemeinsamen und akzeptierten Werte, Normen und Einstellungen prägt die Entscheidungen, Handlungen und das Verhalten aller Beteiligter. Sie hat Einfluss auf Beziehungen untereinander und zu Dritten wie Kundinnen und Kunden sowie Lieferantinnen und Lieferanten.

Die Kultur als Spiel

Ein passender Vergleich für eine Organisation und deren Regeln ist ein Spiel mit seinen Spielregeln. Dabei unterliegen Organisationen allgemeinen Markt(spiel)regeln. Hinzu kommen Branchen- und unterschiedliche Gesetzesregeln. Mit dem Blick in die Organisationen werden individuelle Regeln sichtbar. Dies macht Organisationen einzigartig und unterscheidbar. Die Sammlung an normativen, formellen und informellen Regeln spiegelt sozusagen die Spielregeln der Organisation wider.

Beteiligte möchten möglichst lange und mit Spaß im Spiel bleiben. Sie spielen nach den Regeln. Es handelt sich also um Mitgliedschaftsbedingungen. Sofern man nicht mit den Unternehmensregeln einverstanden ist, steht es einem frei, diese zu ändern oder das Unternehmen zu verlassen. Love it, change it or leave it!

Die Spielregeln können nach Art unterschieden werden. Es gibt die offiziellen Regeln: „Urlaubsanträge müssen schriftlich erfolgen.“ Hinzu kommen die inoffiziellen Regeln: „Mitarbeitende mit schulpflichtigen Kindern werden bei der Urlaubsplanung bevorzugt behandelt.“ Zwischen den Unternehmen unterscheiden sich diese Spielregeln meistens nicht unbedingt. Sie sind fast allgemeingültig; sofern wir uns in einer bestimmten Region oder in einem bestimmten Land befinden. Es gilt nämlich häufig, dass externe Kultur- oder Spielregeln oft die internen ausstechen. Wohnt und arbeitet man in Wolfsburg, können manche Entscheidungen von den Fußballspielergebnissen der Heimmannschaft abhängen.

Hier ist der Übergang jedoch auch fließend. Es kann sich dabei um eine unternehmenskulturelle (Spiel-) Regel handeln: „Gewinnt die Heimmannschaft das Turnier, gibt es am Folgetag für alle einen Sonderurlaubstag.“

Parallele Kulturen in der Doppel-Helix

Es gibt nicht die eine Unternehmenskultur. Jeder Bereich, jede Abteilung, jedes Team, jede Gruppe besitzt eine eigene Kultur – also eigene Spielregeln. In der einen Abteilung wird streng nach Verfahrensanweisung gearbeitet, in der anderen gilt eher Laissez-faire. Beide Abteilungen arbeiten dennoch effektiv.

Es ist zudem leicht verständlich, dass eine Kultur immer nur zwischen Personengruppen ab zwei Mitgliedern bestehen kann. Die beige Einzelpersonenkultur nach Prof. Clare W. Graves aus seiner Doppel-Helix der Unternehmenskulturen ist somit zu vernachlässigen. In dem Modell bleiben noch genug Kulturausprägungen übrig, die wir nun betrachten können.

Clare W. Graves war ein US-amerikanischer Professor für Psychologie und gilt als der Begründer der Ebenentheorie der Persönlichkeitsentwicklung. Aus seinen Gedankengängen entwickelte sich ein Doppel-Helix-Modell, das die unterschiedlichen Ausprägungen von Unternehmenskulturen sehr anschaulich verdeutlicht.

Das Modell der neun Stufen der Wertesystems („9 Levels of Value“-System) stellt eine Wendeltreppe mit neun Ebenen dar. Dabei wechselt sich jeweils der Ich-Standpunkt mit dem Wir-Standpunkt ab. Graves hat für jede Stufe eine eigene Farbe ausgewählt. Das Modell beginnt auf der ersten, auf der beigen Ebene. Die sogenannte Kultur des Überlebens ist wie oben bereits beschrieben in der Geschäftswelt unbedeutend, denn es ist die Kultur eines Einzelunternehmenden. Die lila Kulturebene ist die erste Wir-Kultur. Wie in einem Stamm mit zentraler Führung bestehen Kooperationen und es gibt wenig Arbeitsteilung. Es folgt die rote Ebene mit wenigen Regeln und viel Energie sowie Dynamik. Die Ebene wird als Kultur der Einzelkämpfer beschrieben und befindet sich auf der Ich-Seite. Eine Stufe weiter und auf der Wir-Seite kommen wir zu der am weitesten verbreiteten Unternehmenskultur. Die blaue Stufe ist die Kultur der Loyalität. Ein hoher Qualitätsanspruch durch eher unflexible Regeln. Bedauerlicherweise spiegelt sich hier das bekannte Silodenken aus strengen Hierarchien wider. Auf der orangen Ebene wird wieder mehr kollaboriert. Die Wir-Kultur der Erfolgssucher ist schnell und sehr technikaffin sowie geprägt durch stark dezentrale Führung. In einer grünen Matrix-Organisation lebt die Kultur des Teams. Mit großer Dialogbereitschaft wird in enger Zusammenarbeit prozessorientiert angepackt. Es folgen die gelbe Ebene mit hoher Diversität, die türkise Ebene mit der Schwarmintelligenz. Die oberste Ebene, die korallenfarbige Kultur der Transzendenz, hat eine Ausprägung, die noch zu definieren ist.

Der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Dr. Simon Sagmeister nimmt in seinem Buch „Business Culture Design“ direkten Bezug auf das Graves-Modell. Sagmeister lässt die erste sowie die letzte Stufe unbeachtet.

Menschlichkeit in den Kulturen

In Unternehmen arbeiten Menschen. Jeder Mensch ist unterschiedlich und bringt seine eigene Geschichte mit. Die Erwartungen sind genauso unterschiedlich wie die intrinsische Motivation. Unternehmen sind komplexe Konstrukte. Es gibt somit kein typisches Ursache-Wirkungs-Prinzip. Sofern dies akzeptiert wird, ist es eindeutig, dass Unternehmenskulturen eigenständig sind. Sie lassen sich nicht direkt beeinflussen oder lenken.

So kann es vorkommen, dass Mitarbeitende persönlich engere Beziehungen zueinander besitzen. Hier wird anderes kommuniziert und wohlmöglich auch mal anders entschieden. Diese informellen Wege haben wieder indirekten Einfluss auf das Gebilde Unternehmenskultur.

Die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden haben sich weiterentwickelt und sind über die rein monetäre Belohnung hinausgegangen. Ein Kicker im Büro ist hingegen nicht ausreichend, um eine erfolgreiche Teamzusammenarbeit zu kultivieren. Es gibt viele Stellschrauben, die erkannt und gedreht werden müssen.

Eine Grundrichtung der Unternehmenskulturen kann jedoch vorgezeichnet werden. Führungskräfte entscheiden sich für einen Führungsstil. Wie in dem Modell von Graves dargestellt, können so die Ich- oder Wir-Standpunkte vertreten werden. Wird das Unternehmen traditionell patriarchalisch geleitet, ist die Führungsart „Führen durch Angst“ eine direkte Weiche zu entsprechenden Unternehmenskulturen.

Formelle Spielregeln können die Unternehmenskulturen über Bande beeinflussen; „können“ – nicht „beeinflussen auf jeden Fall“. Organisationsstrukturen haben ebenfalls indirekten Einfluss: Silos, Prozessorientierung, Vernetzung. Die Ausprägungen der Unternehmenskulturen lassen sich jedoch nicht entscheiden. Die Kultur ist der Schatten der Vergangenheit. Und sie entwickelt sich ständig weiter.

Was sind erfolgreiche Unternehmenskulturen?

Bei einer erfolgreichen Arbeitskultur dreht sich alles um die Menschen, die sie ausmachen. Die Bedürfnisse und Anforderungen in dem Unternehmen – in den Teams – bestimmen die Erfolgskriterien. Es hängt wie immer von der eigentlichen Zielsetzung ab. Häufig ist eine hohe Mitarbeitendenzufriedenheit ein Erfolgskriterium für „gute“ Unternehmenskulturen. Je nach Perspektive kommen weitere Zielsetzungen in Betracht. Effiziente, also wirtschaftlich ökonomische Teams können genauso ein Ziel sein.

Die deutsche Spezialeinheit der Bundespolizei GSG 9 hat andere kulturelle Werte als ein Spieleentwicklerteam. Bei der Spezialeinheit geht es um blindes Vertrauen und in der Games-Gruppe sind innovative Gedanken gefordert. Somit ist klar, dass das Stufenmodell von Graves auch nicht bedeutet, dass eine höhere Stufe mit einer besseren Stufe gleichzusetzen ist. Das Modell verdeutlicht lediglich die wertfreien Eigenschaften und macht so eine Unterscheidung möglich.

Die Erfolgskriterien der Unternehmenskulturen sind somit stark von dem Geschäftsmodell und den Geschäftszielen sowie deren Ableitungen für Strukturen und Geschäftsabläufen abhängig. Es kommt schlussendlich auf den perfekten Fit zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden an. Daher ist die Fähigkeit zur kontinuierlichen Ausbildung und Gewinnung neuer globaler Talente der Schlüssel zur Förderung einer positiven Kultur.

Unternehmenskulturen beeinflussen

Die Unternehmenskulturen lassen sich nicht direkt normativ beeinflussen. „Ab jetzt sind alle teamfähig!“ funktioniert nicht. Gelebte Unternehmensmissionen haben enormen Einfluss auf die Kulturentwicklung. Führungskräfte dienen immer als Vorbilder und Treiber. Sie müssen sich ihrer Rolle als öffentliche Protagonisten bewusst werden.

Mitarbeitende nehmen Führungskräfte als Vorbilder wahr, handeln aber natürlich auch aus anderen Gründen. Grundsätzlich existieren vier Beweggründe zum Handeln: Angst, Nutzen, Freude und Sinn.

Durch starke Machtausübung können Versagensängste auf der anderen Seite das Handeln antreiben. Diese Art des Antreibens ist nicht mehr zeitgerecht und glücklicherweise nicht mehr so üblich. Die extrinsische Motivation funktioniert nur so lange, wie der zusätzliche Nutzen vorhanden ist. Genauso verhält es sich bei dem Handeln aus Freude heraus. Wenn der eigentliche Sinn hinter dem Handeln verstanden und als gut befunden wird, sprechen wir von intrinsischer Motivation. Dies ist der anzustrebende Beweggrund für gute Unternehmenskulturen.

Es ergeben sich folgende Erfolgskriterien für eine dienliche Einflussnahme auf die Unternehmenskulturen:

  • Eine hohe Mitarbeitendenzufriedenheit -> Nutzen und Freude
  • Viele Bewerberanfragen -> Nutzen, Freude und Sinn
  • Gewollte Werte werden gelebt -> Nutzen und Freude
  • Intrinsisch motivierte Mitarbeitende -> Sinn und Vision

Als informelle Einflussfaktoren auf die Unternehmenskulturen gelten folgende Aspekte:

  • Arbeitsumgebung: Geeigneter Ort und passende Raumkonzepte
    • Gebäude, Büro- und Ausgleichflächen
  • Personalmanagement: Passende Mitarbeitende akquirieren und integrieren
    • Individuelle professionelle Werte und Talente erkennen und fördern
    • Individuelle Erfahrungen und Geschichten schätzen und einbinden
  • Führung: Passendes Verhalten der Führungskräfte, zum Beispiel:
    • Führungskräfte als Vorbilder
    • Leadership statt reinen Managements
    • Offene Bürotüren bei Führungskräften
  • Vernetzung: Passende Kommunikation, zum Beispiel:
    • Ausreichend Transparenz über Entscheidungen
    • Enge Feedbackschleifen mit den Mitarbeitenden
    • Persönliche und humanfokussierte Kommunikation
  • Innovation: Notwendigkeiten statt Bedarfe erfüllen
    • Teamdifferenzierte Kulturen beachten
    • Innovationsimpulse ernst nehmen
  • Symbole: Aussagekräftige und zutreffende Zeichen und Mantras, zum Beispiel:
    • Passende Projektnamen
    • Artefakte – was wir tun
    • Werte – was wir sagen
    • Glaubenssätze – wie wir denken
  • Methoden: Passende und situationsabhängige Arbeitsweisen, zum Beispiel:
    • Agilität, etwa Lean oder klassischer Wasserfall
    • Strikte Verfahrensanweisungen oder Leitlinien
  • Rollen und Aufgaben: Abgegrenzte Rollen mit definierten Aufgabenfeldern, unter anderem:
    • Oberes und mittleres Management für strategische Entscheidungen
    • Prozesskoordinatorinnen und -koordinatoren sowie Prozesseigner für operative Entscheidungen
    • Applikationskoordinatorinnen und -koordinatoren sowie Applikationseigner für technische und fachliche Entscheidungen

Fazit

In Organisationen existieren immer mehrere Unternehmenskulturen parallel. Sie sind wichtige Bausteine jedes erfolgreichen Unternehmens. Für Unternehmen ist es von entscheidender Bedeutung, ihre Arbeitskultur proaktiv zu definieren und zu entwickeln, insbesondere in Zeiten schnellen Wachstums und stetigen Wandels.

Ein Unternehmen ist ein Organismus und besitzt ein Eigenleben. Er ist dynamisch und entwickelt sich ständig weiter. Die Investition in die Unternehmenskulturen zahlt sich aus. Die Ergebnisse lassen sich nur bedingt vorhersagen. Eine gezielte Aktion reicht niemals aus, um eine gewünschte Zielrichtung einzuschlagen. Es ist eine ständige Begleitung notwendig.

Führungskräfte haben einen starken Einfluss auf die Unternehmenskulturen und sollten dies bewusst einsetzen. Schlussendlich formen und leben alle Mitarbeitenden mit ihren Geschichten und Erfahrungen die Unternehmenskulturen.

Unser Beitrag

Transformationen haben einen Einfluss auf die eigenen Unternehmenskulturen. adesso unterstützt bei der Definition und der Verwirklichung der Vorstellungen für gute Kulturen genauso, wie wir Transformation erfolgreich begleiten und durchführen.

Unsere Expertinnen und Experten zum Thema Organisationsmanagement sind schnell erreichbar und freuen sich über eine Kontaktaufnahme, um gemeinsam mit euch über eine noch erfolgreichere Zukunft zu sprechen: Organisationsberatung@adesso.de

Weitere spannende Themen aus der adesso-Welt findet ihr in unseren bisher erschienenen Blog-Beiträgen.

Bild Mike Deecke

Autor Mike Deecke

Mike Deecke ist Managing Consultant im adesso-Geschäftsbereich für Organisationsberatung. Weil Erfolg kein Zufall ist, sondern von richtigen Entscheidungen abhängt, berät Mike erfolgsorientierte Entscheidende bei Transformationsfragen und zwar bevor es in die Umsetzung geht. Damit das Richtige von den Richtigen einfach richtig gemacht wird.

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