5. Mai 2021 von Sandra Weis
Prozessmodellierung – Was ist das und warum soll das gut sein?
Kunden im Finanzdienstleistungsbereich sind heutzutage anspruchsvoller als noch vor einigen Jahren. Sie möchten schneller und zielgerichtet auf relevante Informationen zugreifen oder diese abrufen sowie Vertragsänderungen einfach und komplikationslos beantragen. Das setzt die Finanzdienstleistungsbranche enorm unter Druck. Die Erwartungen von Kunden sind zu erfüllen oder bestenfalls zu übertreffen und das bei gleichzeitiger Reduzierung der Verwaltungskosten sowie unter Berücksichtigung der veränderten Markt- und Rahmenbedingungen.
Zugegeben, das Thema Prozesse und Prozessmodellierung ist – vor allem im Finanzdienstleistungsbereich – nicht neu. Dennoch ist das Thema immer noch aktuell. Besonders, wenn man bedenkt, dass dies für die Unternehmen ein wichtiger Baustein für die Erreichung der Unternehmensziele und das Vorantreiben in Richtung Digitalisierung sein kann.
In Unternehmen – vor allem im Finanzdienstleistungsbereich – gibt es vielfältige (Geschäfts-)Prozesse wie beispielsweise zur Bearbeitung von Geschäftsvorfällen. In der Praxis sind den Beteiligten die Prozesse und Abläufe bekannt, wurden aber in der Vergangenheit nicht oder nur in groben Zügen dokumentiert. Eine Transparenz fehlt – Zumal die Chance, das Verbesserungspotenzial zur Optimierung der Prozesse zu nutzen, deutlich erschwert wird. Die Prozessmodellierung kann hier helfen. Der Prozess mit seinem Ablauf wird erhoben. Grafisch wird dargestellt, welche Aktivitäten in welcher Reihenfolge anfallen, was genau von wem und wie zu tun ist. Für die Umsetzung der Prozessmodellierung kommen verschiedene Methoden in Frage. Häufig entscheiden sich die Unternehmen für eine Standardnotation – etwa BPMN 2.0 – und nutzen für die grafische Darstellung der Prozesse eine entsprechende Software.
Ziele der Prozessmodellierung
Für Unternehmen kommt eine Reihe von Zielen in Frage, die mit der Prozessmodellierung erreicht werden sollen. Dazu zählen unter anderem die Schaffung von Transparenz, Kostenreduktion, Effizienzsteigerung, Verbesserung beziehungsweise Optimierung der Prozesse, Eliminierung von unnötigen Tätigkeiten, Abbau von Komplexität und Reduzierung der Durchlaufzeiten.
Ein entscheidender Vorteil und sogleich ein Ziel der Prozessmodellierung kann sein, zu prüfen, ob und gegebenenfalls bei welchem Prozess und/oder welchen Aktivitäten eine technische Unterstützung eingesetzt werden kann.
Welche konkreten Ziele das Unternehmen mit der Prozessmodellierung erreichen will, ist sehr individuell und sollte vor Beginn der Tätigkeiten festgelegt sein.
Prozessanalyse
Nachdem der Prozess modelliert wurde, wird dieser unter Berücksichtigung der Modellierungsziele analysiert, Schwachstellen aufgedeckt und entsprechende Maßnahmen abgeleitet sowie anschließend umgesetzt.
Beispiel:Das Finanzdienstleistungsunternehmen möchte die Durchlaufzeit für die Bearbeitung eines bestimmten Geschäftsvorfalls um 50 Prozent senken. Typische Fragestellungen bei der Analyse sind unter anderem:
- Sind alle Aktivitäten notwendig und auf welche kann verzichtet werden?
- Fallen Aktivitäten und Tätigkeiten mehrfach an und kann auf diese ganz oder teilweise verzichtet werden?
- Können Service Level Agreements (SLA) dazu beitragen, die Prozessdauer zu verkürzen?
- Können der Prozess oder einzelne Aktivitäten durch Digitalisierung unterstützt werden?
- Welche Technologien können genutzt werden, um den Prozess zu verbessern beziehungsweise zu optimieren?
- Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, um die relevante Technologie nutzen zu können?
Prozesse und Digitalisierung
Heutzutage gibt es eine Reihe von Möglichkeiten, Prozesse und/oder Aktivitäten digital zu unterstützen oder gar umzusetzen. Welche genau in Frage kommen, hängt von etlichen Faktoren ab. Zu berücksichtigen ist beispielsweise die vorhandene oder künftig gewünschte Systemlandschaft und die erforderliche Hardware, das Ergebnis von Kosten-Nutzen-Analysen, die Datenmenge sowie die erforderliche Datenaufbereitung und die Verfügbarkeit von Mitarbeiterkapazitäten für die Integration oder Entwicklung einer Software. Einige technische Möglichkeiten beschreibe ich euch anhand von drei konkreten Beispielen.
1. Self Service
Das Unternehmen richtet auf seiner Homepage für seine Kunden einen Bereich „Self Service“ ein. Der Kunde kann sich mit seinen Vertragsdaten sowie dem Passwort einloggen und die Informationen über seinen bestehenden Vertrag abrufen oder anfordern sowie Dokumente runterladen und auch Vertragsänderungen beantragen.Beispiele:
- Der Kunde teilt dem Finanzdienstleistungsunternehmen über den Self Service über ein Online-Formular seine neue Postanschrift mit.
- Der Kunde lädt ein Dokument herunter, mit dem er dem Finanzdienstleistungsunternehmen ein Bezugsrecht für den Fall seines Todes mitteilen kann.
- Der Arbeitgeber teilt dem Versicherungsunternehmen über ein Online-Formular den Dienstaustritt eines Arbeitnehmers mit.
2. Künstliche Intelligenz
Mittels Künstlicher Intelligenz (KI) und Lösungen – etwa Chatbots und Automatisierung (Robotics) – können Mitarbeitende entlastet werden. Chatbots können die Finanzdienstleister gezielt für das Beantworten von Standardanfragen einsetzen. Dem Kunden steht rund um die Uhr und sofort ein Ansprechpartner zur Verfügung. Dabei ist es gleichgültig, ob sie über Telefon, Smart Speaker, E-Mail oder Social-Media-Kanäle Kontakt aufnehmen wollen. Im Gegenzug müssen sich Servicekräfte nicht mit der Masse der leicht zu lösenden Standardanfragen beschäftigen, sondern können sich auf komplexere Fälle konzentrieren. Die Unternehmen können so mit gleichem Investment einen besseren Kundenservice anbieten. Mittels Automatisierung (Robotics) können Posteingänge, Mails etc. anhand einer automatisierten Texterkennung direkt in die virtuellen Posteingangskörbe der zuständigen Mitarbeitenden verteilt werden. Jedem Posteingang kann automatisiert eine Bearbeitungspriorität zugeordnet werden, die beispielsweise abhängig ist von der Art des Geschäftsvorfalls oder dem Vertriebspartner.Beispiele:
- Der Kunde möchte von seiner Bank eine Übersicht über die im letzten Monat getätigten Ausgaben erhalten. Diese wird maschinell erstellt ohne das ein Mitarbeiter der Bank manuell eingreifen muss.
- Der Kunde sendet per Mail einen Versicherungsantrag an das Versicherungsunternehmen. Anhand der automatisierten Texterkennung wird die Mail direkt in den virtuellen Postkorb des zuständigen Fachbereichs mit höchster Bearbeitungspriorität geleitet.
3. Dunkelverarbeitung
Die automatisierte Verarbeitung von Geschäftsvorfällen wird als Dunkelverarbeitung bezeichnet. Der gesamte Prozess läuft vollständig automatisiert, also ohne manuellen Eingriff eines Mitarbeitenden, ab.Beispiele:
- Ein Vertriebspartner reicht bei dem Versicherungsunternehmen einen Antrag auf Rentenversicherung seines Kunden ein. Der Antrag wird in das System eingespielt, verarbeitet und ein Versicherungsschein erstellt, der direkt an den Versicherungskunden gesandt wird. Die manuelle Bearbeitung oder ein Eingriff durch einen Mitarbeitenden entfällt.
- Ein Kunde richtet bei einer Bank ein Hypothekenkonto über deren Webseite ein. Die eingegebenen Daten und Informationen werden automatisiert in das Kernsystem der Bank geroutet. Das Konto wird maschinell eröffnet und der Kunde erhält eine Bestätigung über die Kontoeröffnung.
Herausforderungen
Eine Herausforderung bei der Prozessmodellierung und der Analyse ist die Hinterfragung der einzelnen Aktivitäten und Arbeitsschritte sowie die Ableitung und Umsetzung von Maßnahmen. Nicht selten heißt es von Mitarbeitenden, die an der Prozessmodellierung mitarbeiten, „Das haben wir schon immer so gemacht.“ oder „Das ist historisch gewachsen.“. Diese Denkmuster zu durchbrechen, bedarf ein wenig Übung und Sozialkompetenz. Daher ist es wichtig, die Prozessmodellierung von ausgebildeten und praxiserfahrenen Mitarbeitenden durchführen zu lassen. Diese müssen sich nicht nur mit dem Thema Modellierung auskennen, sondern geübt sein, die „alten Trampelwege“ zu verlassen und die Beteiligten zu motivieren, neue Wege zu gehen.
Außerdem müssen sie über eine technologische Kompetenz mit ausgeprägtem (branchen-)fachlichen und betriebswirtschaftlichen Know-how verfügen, um die Ziele der Prozessmodellierungen erreichen sowie gegebenenfalls durch maßgeschneiderte IT-Strategien unterstützen zu können.
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