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Bereits in den 1980er Jahren wurden von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Durchbrüche verkündet, die sich nicht als solche herausstellten. Nun haben US-Forschende im Dezember 2022 erstmals mehr Energie aus der Kernfusion gewonnen, als sie hineingesteckt haben. Klar ist: Kohle und Öl werden perspektivisch ausgedient haben. Die Welt muss klimaneutral werden. Nur so kann die Erde auf lange Sicht bewohnbar bleiben – darin sind sich Klimaforschende einig. Für die große Transformation stehen Wind, Wasserkraft, Biomasse und Sonnenlicht bereit. Aber auch Kraftwerke mit Kernfusionsreaktoren könnten nach den jüngsten Erfolgen noch eine wichtige Rolle spielen. Wie ernst können wir die Kernfusion mit Blick auf die Energie- und Klimaprobleme nehmen?

Was versteht man unter Kernfusion?

Der Prozess der Kernfusion ist ein physikalischer Prozess, auf dem die Energie der Sonne beruht. Die Kernfusion wird seit Jahrzehnten erforscht, da sie eine nahezu unbegrenzte Quelle sauberer und CO2-neutraler Energie bietet. Da der Fusionsprozess im Gegensatz zur Kernspaltung jederzeit unterbrochen werden kann, gilt dieser außerdem als besonders sicher.

In herkömmlichen Atomkraftwerken wird hauptsächlich Strahlungsenergie sowie thermische Energie in Form von Wärme durch Spaltung schwerer Atome wie Uran gewonnen. Bei der Kernfusion hingegen werden die beiden Wasserstoffsorten Deuterium und Tritium mit Hilfe eines Plasmastrahls verschmolzen. Bei der Verschmelzung dieser beiden Stoffe entsteht ein Heliumkern sowie eine große Menge nutzbarer thermischer Energie in Form von Wärme. Diese Wärmeenergie soll in Kraftwerken zum Antrieb von Dampfturbinen und Stromgeneratoren genutzt werden.

Welches Potenzial bietet die Kernfusion?

Einer der wichtigsten Vorteile der Kernfusion ist, dass sie eine praktisch unbegrenzte Energiequelle sein kann. Im Gegensatz zu fossilen Brennstoffen, die endlich sind, kann die Kernfusion mit Wasserstoffisotopen, Deuterium und Tritium, betrieben werden.

Deuterium kommt in der Natur reichlich vor (zum Beispiel im Meerwasser). Tritium muss aus dem Metall Lithium durch Neutronenbestrahlung „erbrütet“ werden. Die Vorräte an Lithium sind begrenzt, reichen jedoch für die Kernfusionsnutzung in großem Umfang aus. Bereits mit einem Gramm Deuterium-Tritium-Gemisch können in einem Kraftwerk 90.000 Kilowattstunden Energie erzeugt werden, was der Verbrennungswärme von elf Tonnen Kohle entspricht. Zum Vergleich: Die bei der Spaltung eines Gramms Uran freiwerdende Energie entspricht der Verbrennung von 2,5 Tonnen Kohle.

Später könnte Tritium in den Kernfusionsreaktoren selbst erzeugt werden. Das bedeutet, dass die Kernfusion Energie für Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende liefern könnte. In der Theorie könnte ein Fusionskraftwerk der Zukunft ein bis zwei Gigawatt Strom erzeugen. Im Vergleich dazu erzeugt der aktuell leistungsstärkste Kernreaktor circa 1,6 Gigawatt Strom.

Nachteile der Kernfusion

Trotz ihrer vielversprechenden Möglichkeiten hat die Kernfusion gegenüber den erneuerbaren Energiequellen sowie der Kernenergie auch eine Reihe von Nachteilen.

  • Niedriger technologischer Reifegrad: Die Kernfusion befindet sich noch in der Forschungs- und Entwicklungsphase und stellt noch keine brauchbare Energiequelle dar. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben zwar erhebliche Fortschritte beim Verständnis der Physik der Kernfusion gemacht, doch die Technologie zur Nutzung dieser Energie im großen Maßstab muss erst noch entwickelt werden. Derzeit werden einige Versuchsreaktoren in Betrieb genommen oder noch gebaut, so wie der Internationale Thermonukleare Versuchsreaktor (ITER) in Südfrankreich. Dieser befindet sich noch in der Test- und Demonstrationsphase. Im Gegensatz dazu werden die Technologien zur Nutzung regenerativer Energie immer effizienter und ausgereifter.
  • Hohe initiale Input-Energie: Kernfusionsreaktoren benötigen eine beträchtliche Menge an Energie, um die Fusionsreaktion in Gang zu setzen und aufrechtzuerhalten. Diese Energie muss aus einer externen Quelle stammen – etwa aus einem herkömmlichen Kraftwerk. Das bedeutet, dass Kernfusionskraftwerke nach wie vor fossile Brennstoffe oder andere Energiequellen für ihren Start benötigen. Während regenerative Energietechnologien hingegen nur auf die Energie der Natur als Input angewiesen sind.
  • Hohe Kosten: Die Entwicklung, Erprobung und der Bau von Kernfusionskraftwerken erfordern Investitionskosten in Höhe von mehreren Milliarden Euro. Diese kostspieligen Kraftwerke sind für Länder mit begrenzten Mitteln nur schwer zu finanzieren. Dies ist ein erheblicher Nachteil gegenüber erneuerbaren Energiequellen, deren Kosten in den letzten Jahren deutlich gesunken sind und die zunehmend mit den traditionellen Energiequellen konkurrieren können. Zum Vergleich: Die Gesamtkosten des ITER-Projektes wurden zu Beginn auf fünf Milliarden Euro geschätzt. Mittlerweile ist das milliardenschwere internationale Kernfusionsforschungsprojekt mit über 15 Milliarden Euro bereits dreimal so teuer. Zur Veranschaulichung stehen dem die Kosten eines Offshore-Windparks mit einer Leistung von 400 Megawatt gegenüber, die beim Borkum Riffgrund West circa eine Milliarde Euro umfassen. Außerdem können viele Wind- und Solaranlagen in kleinem Maßstab installiert werden, was sie für Einzelpersonen und Gemeinden erschwinglich und zugänglich macht.
  • Radioaktiver Abfall: So wie bei Kernspaltung entsteht auch bei Kernfusion radioaktive Strahlung. Im Gegensatz zur Kernspaltung produziert Kernfusion jedoch weniger langlebige Abfallprodukte. Die Aktivität des Abfalls nimmt rasch ab: nach etwa 100 Jahren auf ein Zehntausendstel des Anfangswerts. Nach ein- bis fünfhundert Jahren Abklingzeit ist der radiotoxische Inhalt des Abfalls vergleichbar mit dem Gefährdungspotenzial der gesamten Kohleasche aus einem Kohlekraftwerk, die stets natürliche radioaktive Stoffe enthält. Die radioaktiven Abfälle aus Kernkraftwerken dagegen haben eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren.

Stimmen aus der Politik und Forschung

Stimmen aus der Politik, vor allem aus den Reihen der FDP, äußern den Wunsch, dass Deutschland zu einem Vorreiter bei der Nutzung der Kernfusion werden soll. Wenn es nach FDP-Fraktionschef Christian Dürr geht, muss das Ziel sein, dass der erste Kernfusionsreaktor, der Strom für Unternehmen und Haushalte produziert, in Deutschland gebaut wird. Aus diesem Grund sieht er die Ampel-Koalition in der Pflicht, gesetzgeberisch die Möglichkeiten für die Entwicklung der Kernfusion zu legen. Auch aus der Opposition werden die Stimmen nach weiteren Investitionen laut. Der Oppositionsführer Friedrich Merz plädiert dafür, sich intensiver mit der Kernfusion zu befassen, da er in dieser die Chance sieht, die Energieabhängigkeit von Russland zu reduzieren.

Für den Leiter der Fusionsforschung der Frauenhofer-Gesellschaft ist klar: Deutschland verfügt bereits über Know-how in Schlüsseltechnologien, die für die Entwicklung der Kernfusion relevant sind. So sind die Forschenden der Max-Planck-Gesellschaft weltweit führend auf dem Gebiet des magnetischen Einschlusses, der für die Stabilisierung des Plasmas benötigt wird. Auch in der Lasertechnik und der optischen Industrie, die für die lasergetriebene Fusion notwendig sind, nimmt Deutschland eine internationale Spitzenposition ein. Angesichts der jüngsten Erfolge gilt für ihn daher, Forschung und Entwicklung (F&E) in diesen Technologiebereichen weiter zu fokussieren und auszubauen, so dass auf diese Weise Deutschland und Europa auch im Bereich der Kernfusion langfristig zu einem zentralen Anbieter werden kann.

Allerdings dämpfen die Forschenden des Lawrence Livermore National Laboratory, denen im Dezember 2022 der Meilenstein gelungen ist, die Aufbruchsstimmung und sehen noch einen sehr weiten Weg bis zu einer industriellen und rentablen Nutzung der Kernfusion. Dennoch soll das internationale Projekt ITER, an dem Deutschland beteiligt ist, das schaffen, was bisher nicht gelang: eine Kernfusion mit Energiegewinn. 2025 soll dort das erste Plasma, das für die Kernfusion benötigt wird, entstehen.

Fazit

Deutschland und viele weitere Länder haben sich vorgenommen, bis 2050 klimaneutral zu werden. Zeitgleich betonen Klimaforschende, dass der Handlungsspielraum zur Abwendung einer massiven Erderwärmung immer kleiner wird. Ein Heilsbringer in diesem Zusammenhang könnte die Kernfusion sein, bei der in Fusionsreaktoren unter extremen Bedingungen Wasserstoffatome verschmelzen und enorme Energiemengen freisetzen, die zur Stromerzeugung genutzt werden können. Die Kernfusion gilt als unbegrenzte Quelle sauberer und CO2-neutraler Energie. Erste wissenschaftliche Erfolge bei der Erprobung heizen die politische Diskussion weiter an. Die Forderungen nehmen zu, Investitionen in die F&E von Kernfusion zu erhöhen. Den Vorteilen und dem Hype steht jedoch eine nicht unerhebliche Palette an Nachteilen gegenüber. Die Kernfusion als nachhaltige Energiequelle steckt technologisch gesehen noch in den Kinderschuhen. Es ist aktuell noch sehr unklar, wie „Wissenschaft und Technik“ in den kommenden Jahrzehnten voranschreiten bzw. wie lange Regierende weiterhin bereit sein werden, die ungeheuren Investitionskosten für die F&E bis hin zur Marktreife zu übernehmen.

Festzuhalten ist: In den nächsten 20 bis 30 Jahren wird die Kernfusion sicherlich keinen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung des Energie- und Klimaproblems leisten. Dennoch sollte der F&E mit neuen internationalen Forschungs-Allianzen weiter nachgegangen werden, um Kollaborationen zu stärken, den Wissensaustausch zu fördern und die immensen Kosten gemeinschaftlich zu stemmen. Wir bleiben weiter gespannt und geben einen erneuten Zwischenstand – spätestens in 20 bis 30 Jahren.

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Autor Maximilian Hammes

Maximilian Hammes ist Consultant in der Line of Business Utilities bei adesso mit den Schwerpunkten Data Analytics und Prozessmanagement. Als Projektleiter und Requirements Engineer unterstützt er Kunden bei der Umsetzung von Digitalisierungsprojekten.

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Autor Jonas Schnorrenberg

Jonas Schnorrenberg ist Maschinenbauingenieur und arbeitet bei adesso als Consultant im Bereich Utilities mit Fokus auf der Beratung von Unternehmen in der Energiewirtschaft. Sein Schwerpunkt lag in den vergangenen Jahren auf der Leitung von Projekten im Bereich der Energie- und Kraftwerkstechnik. Nach seinem abgeschlossenen Master in Maschinenbau bildet er sich nun nebenberuflich im Rahmen eines Masters in Business Administration weiter.

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Autor Stephen Lorenzen

Stephen Lorenzen ist Managing Consultant und seit fast sechs Jahren in der Energiewirtschaft tätig. Er versteht sich als pragmatischer und interdisziplinärer Allroundberater mit mehrjähriger Berufserfahrung in den Bereichen Innovationsmanagement, Requirements Engineering sowie klassischem und agilem Projektmanagement.

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