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Die gesetzlichen Krankenversicherungen müssen seit 1.1.2021 ihren Versicherten die elektronische Patientenakte (ePA) anbieten. Dies wurde zunächst in einer sehr rudimentären Variante umgesetzt. Seit 1.1.2022 bietet die ePA nun deutlich mehr Funktionalität, die Erwartungshaltung hinsichtlich der Nutzung war groß. Die neue Bundesregierung hat Digitalisierung oben auf der Prioritätenliste stehen. Doch bislang gibt es erst etwas mehr als 470.000 angelegte elektronische Patientenakten, und das bei einem Potenzial von ca. 83 Millionen Nutzerinnen und Nutzern!

Auch bei den privaten Krankenversicherungen ist bislang keine ePA für die Versicherten im Angebot.

Woran liegt das?

Bedingt durch Corona waren in 2021 das E-Rezept, die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) und auch der elektronische Impfpass oftmals in der Presse und damit im Bewusstsein der Bevölkerung. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens war ein Thema. Die Agentur gematik und der PKV-Verband waren aktiv. Ab Herbst 2021 wurde es bereits ruhiger um diese Themen. Die elektronischen Lösungen verzögern sich. Aktuell wird die elektronische Patientenakte an keiner Stelle aktiv beworben. Die Bundesregierung hat über mehrere Monate hinweg keine weiteren öffentlichen Aussagen dazu gemacht, außer in den Vereinbarungen des Koalitionsvertrags 2021 (unter anderem Beschleunigung der ePA und Opt-out-Verfahren für die ePA). Bereits kurz nach Antritt der neuen Bundesregierung stand die Ukraine-Problematik im Mittelpunkt. Selbst Corona und die damit in den Vordergrund gerückte Digitalisierung des Gesundheitssystems werden dadurch zurückgedrängt. Die Auswirkungen auf die Menschen in Deutschland, die Wirtschaft und auch die Welt sind weitreichend, so dass dies auch nicht weiter verwundert.

Krankenkassen informieren die Versicherten in Teilen aktiv über die Möglichkeit, eine ePA zu beantragen. Sichtbare Marketingaktionen werden dabei nicht deutlich. Die oder der Versicherte liest vielleicht noch die Information, aber schnell gerät dann die ePA durch aktuelle Anlässe wieder in Vergessenheit. Die ePA hilft der oder dem Versicherten zunächst nicht und wird vielleicht erst wieder in den Blickpunkt gelangen, wenn sie oder er erkrankt. Aber erinnert sie oder er sich dann direkt wieder an die ePA? Selbst der zeitweise wichtige Impfausweis hat momentan nicht mehr die Bedeutung.

Die PKV steht vor größeren Herausforderungen mit der ePA

Unter den privaten Krankenversicherern (PKV) befindet sich aktuell noch kein Anbieter, der seinen Versicherten die ePA anbietet. Der Druck durch die GKVen ist infolge des verhaltenen Auftakts wieder gesunken. Im Jahr 2021 wurde bei vielen PKVen das Thema auch im Hinblick auf den Zeitrahmen und den erwarteten Anstieg der ePAs diskutiert. Gebremst wurde das Thema dann durch noch notwendige Anpassungen an PKV-Bedürfnisse und insbesondere durch die nach wie vor nicht komplett gelöste Identifizierung über eine elektronische ID und deren Sicherheitsniveau. Auch die bislang fehlende eindeutige Krankenversichertennummer (KVNR) für jede Versicherte und jeden Versicherten, die über den PKV-Verband zur Verfügung gestellt werden soll, trägt dazu bei. Gerade ist die erste Nutzung auf Oktober 2022 verschoben worden, da Clearing-Prozesse fehlen. PKV-Verband und gematik befinden sich immer noch in vielen Abstimmungsprozessen. Die gematik hat das Release 3.0 verschoben und ein Release 2.5 per 1.1.2023 mit deutlich reduzierter Funktionalität angekündigt.

Die Ärzteschaft agiert ebenfalls verhalten. Ich habe noch von niemandem gehört, den eine Ärztin oder ein Arzt auf die ePA angesprochen hat. Die Ärztin oder der Arzt wäre sicher eine zentrale Stelle für die Ansprache, denn die oder der Versicherte wird nur aktiv, wenn sie oder er einen konkreten Bedarf habe. Aus Sicht der Ärztinnen und Ärzte bedeutet die ePA zunächst Mehrarbeit, auch wenn die Nutzung zukünftig viele Vorteile bietet. Da die Ärztinnen und Ärzte jedoch unter Überlastung leiden, ist ihr Verhalten nachvollziehbar.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die elektronische Patientenakte kein Selbstläufer ist. Sie muss aktiv vermarktet werden, die Vorteile für die Versicherten müssen deutlich gemacht werden. Der aktuelle Zeitpunkt ist dafür momentan noch ungünstig.

Wie kann sich das ändern?

Die ePA wird kommen. Sobald sie insbesondere von der Bundesregierung wieder in den Vordergrund gestellt wird, werden die Versicherungen aktiv mit der Vermarktung beginnen und die Anzahl der ePAs wird sich deutlich erhöhen. Gerade hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf dem 126. Deutschen Ärztetag die Pläne zur elektronischen Gesundheitsakte bekräftigt.. Der sich bereits in den letzten Jahren abzeichnende Trend, dass Versicherte sich vermehrt aktiv selbst um ihre Gesundheit kümmern, hält an. Ebenso wird sich das Verständnis für die Digitalisierung und deren Nutzen weiter erhöhen. Dies und eine Aufklärung bezüglich der Datenschutzbedenken werden Nutzungsbarrieren abbauen.


Quelle: Eigene Abbildung in Anlehnung an Bitkom Research 07/2021


Quelle: TI-Atlas der gematik, Befragungen Q1 und Q3/2021

Die aktuelle ruhige Lage an der ePA-Front gibt den privaten Krankenversicherungen Gelegenheit, ihren Versicherten – im fast gleichen Tempo wie die gesetzlichen Krankenkassen – die ePA zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus können die PKVen die Zeit nutzen und sich Gedanken zum App-Angebot für die Versicherung machen. Auch hier haben die PKVen Aufholbedarf gegenüber der GKV. Je mehr Komfort die Versicherten-App bietet, je einfacher sie zu nutzen ist, desto höher wird der Nutzungsgrad sein. Versicherten-App und ePA sollten zusammengehören und für die Versicherte beziehungsweise für den Versicherten individuelle Vorteile bieten. Diese müssen aus Nutzersicht schnell auffindbar und einfach anzuwenden sein. Dann wird die oder der Versicherte die App für die eigene Gesundheit nutzen, idealerweise präventiv, und damit direkt Kosten vermeiden, aber natürlich auch rehabilitierend, um den Gesundungsprozess zu beschleunigen. Dies hat auch immer Kostenvorteile für die PKV.

Eine Umfrage unter PKV-Versicherten hat deutlich gemacht, dass die Versicherten nur EINE App von ihrer PKV haben möchten. Der Nutzung mehrerer Apps, also möglicherweise einer zusätzlichen Stand-alone-ePA-App, stehen die Versicherten abgeneigt gegenüber. Die Versicherten wünschen sich auch mehr Transparenz in der Leistungsbearbeitung und mehr Funktionalität ihrer PKV-App wie Beitragsrückerstattung, Selbstbehalterreichung, Status der Leistungseinreichung, Tarifübersicht und alternative Tarife. Auch hier ist es bedeutsam, Nutzerinnen und Nutzern maßgeschneiderte Services zu bieten.

Es gilt also, die Chance zu nutzen, die sich durch die nur langsame Verbreitung der ePA bietet. Eine Zukunftsstrategie für die PKV-Versicherten-App unter Berücksichtigung des Kundenstamms und des eigenen Marktanteils muss entwickelt werden. Die PKV hat viel zu bieten, aber sie muss dies den Versicherten auch vermitteln. Nur zufriedene Versicherte empfehlen ihre PKV weiter!

Fazit

Die elektronische Patientenakte schwächelt momentan ein wenig. Die Gründe dafür sind jedoch nachvollziehbar. Trotzdem wird die Digitalisierung des Gesundheitswesens weiter voranschreiten. Die ePA hat in Kombination mit einigen Zusatzdiensten und administrativen Services Nutzen sowohl für die Versicherten wie auch für die privaten Krankenversicherungen. Die ePA wird wieder stärker ins Bewusstsein der Versicherten gelangen und zukünftig Mehrwerte für alle Parteien bieten. Es ist jetzt an der Zeit, die App-Strategie danach auszurichten und einen mehrjährigen Plan aufzusetzen, der über modulare Ansätze offen ist für die Zukunft.

adesso unterstützt in vielen Facetten die Digitalisierung der Gesundheitssysteme in Deutschland. Für die PKV treibe ich diese Themen maßgeblich voran und stehe für Diskussionen gerne zur Verfügung. Sprecht mich gern an!

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Bild Sabine  Fischer

Autor Sabine Fischer

Sabine Fischer ist Leiterin des Competence Center HealthServices in der Line of Business Insurance. Der Fokus des CC liegt auf digitalen Gesundheitsangeboten für die Kranken- und Lebensversicherung. Sie verfügt über langjährige Erfahrung in der Softwareentwicklung und denkt Software vom Endanwender aus.

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