23. Juli 2020 von Matthäus Schlummer
E-Government: Zwischen OZG, Registern, eAkte und Fachverfahren
In meinem letzten Blog-Beitrag habe ich das E-Government-Gesetz des Bundes vorgestellt. Was die Umsetzung angeht, bin nicht nur ich eher ernüchtert. Gerade während des Corona-Lockdowns wurde wie unter einem Brennglas sichtbar, an welchen Stellen es im Zusammenspiel zwischen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Verwaltung noch hapert. Um zu verstehen, warum das so ist und was jetzt getan werden, ist es wichtig, die Kernelemente von digitalen Verwaltungsprozessen zu kennen. Diese möchte ich euch im Folgenden etwas näher vorstellen.
Kernelemente von digitalen Verwaltungsprozessen
Bei den meisten Verwaltungsprozessen gibt es grob vier Elemente, die ineinander greifen müssen, damit diese für Unternehmen und Bevölkerung gut funktionieren. Zwei davon betreffen die Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen, zwei sind eher für die Verwaltung relevant. Ohne ein Zusammenspiel dieser Elemente kann es aber keine durchgehend digitalen Verwaltungsprozesse (hier im typischen Sinn „von Antrag bis Bescheid“ gemeint) geben. Leider werden oftmals nur einzelne Aspekte in so einem Prozess betrachtet und damit Chancen auf eine durchgehende Digitalisierung vertan.
Unternehmens-/Bürgersicht:
1) Antragstellung/Bescheidempfang: Die Möglichkeit, einen Antrag zu stellen und einen Bescheid zu bekommen
2) Once Only: Die Möglichkeit, benötigte Nachweise/Daten von anderen staatlichen Stellen automatisiert abrufen und dem Antrag hinzufügen zu können (digitale Nachweise)
Verwaltungssicht:
3) Fachverfahren: Eventuell notwendige Berechnungen und fachliche Prüfungen vornehmen
4) E-Akte: Den Verwaltungsvorgang rechtssicher dokumentieren
Das höchste der Gefühle aus Bürgersicht wäre es ja, einen Antrag komplett online zu stellen, gegebenenfalls wie in einem Webshop eine Gebühr online bezahlen zu können und möglichst zeitnah einen digitalen Bescheid zu erhalten. Wenn für diesen Antrag irgendwelche Nachweise von anderen Behörden notwendig sein sollten, könnte man für den Prozess einfach die Erlaubnis erteilen, die benötigten Daten automatisiert bei den anderen Behörden abzurufen - soweit die Erwartungshaltung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen. Etwas formaler betrachtet orientiert sich die Bundesregierung bei der Frage nach der Messung der Online-Verfügbarkeit von Verwaltungsleistungen an einem Vierstufenmodell der Europäischen Kommission (Europäische Kommission 2018: eGovernment Benchmark 2018, S. 33).
Im Kontext des OZGs ist daraus ein Reifegradmodell entstanden, mit dem die unterschiedlichen Prozesse klassifiziert werden können (von Offline bis Once-Only).
Aktueller Knackpunkt: fehlerfreie registerübergreifende Identifikation von Personen
Wie das Once-Only-Prinzip umgesetzt werden könnte, wird schon länger unter den Stichworten „Registermodernisierung“ und „Standardisierung von Schnittstellen“ diskutiert. Die Bundesregierung bezeichnet die Registermodernisierung in dem jüngst beschlossenen Konjunkturpaket zur Bekämpfung der Corona-Folgen als „eine wichtige Säule der Digitalisierung der gesamten Verwaltung in Bund, Ländern und Kommunen.“ Ein großes Problem bei der Umsetzung des Once-Only-Prinzips ist demnach die „fehlerfreie registerübergreifende Identifikation von Personen“.
Mit dem Konjunkturpaket hat die Bundesregierung auch einige inhaltliche Entscheidungen getroffen: Im Bereich der Registermodernisierung gibt es beispielsweise das Ziel, noch im Sommer einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der in einem ersten Schritt den Bereich der Register mit Relevanz für die Umsetzung des Online-Zugangs-Gesetzes mit der Steuer-ID als verwaltungsübergreifende ID-Nummer erschließt. Datenschutzbedenken versucht die Bundesregierung damit zu begegnen, dass der registerübergreifende Datenaustausch nicht direkt zwischen den Behörden erfolgen soll. Vielmehr soll eine Art Datentreuhänder als dritte Stelle zwischen die Behörden treten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hingegen warnt in seinem jüngstenTätigkeitsbericht für das Jahr 2019 davor, auf einen einheitlichen Identifier wie der Steuer-ID zu setzen. Er empfiehlt, vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, bei der Registermodernisierung, statt auf eine einheitliche Personenkennziffer, auf mehrere bereichsspezifische Identifier zurückzugreifen (Tätigkeitsbericht zum Datenschutz für 2019, S. 45). Unterdessen hat der IT-Planungsrat Eckpunkte zur Umsetzung sowie eine vorläufige Architektur zur Umsetzung mit der Steuer-ID beschlossen (32. Sitzung des IT-Planungsrates).
Antragstellung und Portale: Vorne schick für Bevölkerung und Unternehmen
Was die eigentliche Antragsstellung angeht, mache ich mir weniger Sorgen, dass da nicht schöne Formulare entstehen. In die Nutzerzentrierung des Antragsprozesses wird gerade sehr viel Aufwand reingesteckt. Wenn wir jetzt also auf einem guten Weg sind, die Anträge aus Sicht von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen nutzerfreundlich zu gestalten, den Beteiligten über Portale auch die Möglichkeit geben, sich nach dem aktuellen Stand zur erkundigen und dann gegebenenfalls Bescheide, Bescheinigungen oder Urkunden abzurufen – was bleibt dann noch übrig?
Umsetzung innerhalb der Verwaltung: Ausdrucken oder ab in die E-Akte?
Nach längeren Anlaufschwierigkeiten nimmt die E-Akte im Bund an Fahrt auf. Jüngst konnte das ITZBund vermelden, dass die E-Akte Bund als erster Basisdienst erfolgreich in der Bundes-Cloud ausgerollt wurde. Dadurch können die verschiedenen E-Akten-Umgebungen deutlich schneller bereitgestellt werden. In dem 2013 verabschiedeten E-Government-Gesetz stand noch eine Frist zur Einführung der E-Akte bis zum 01.01.2020. Mitte 2020 ist die Liste der Behörden, die erst noch auf die Einführung warten, nach wie vor sehr lang. Es kann also durchaus passieren, dass Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen „schöne“ Formulare bekommen, die Behörden diese aber erst noch ausdrucken müssen, weil Sie noch Papierakten führen. Soll dann für Antragsstellende in einem Portal der aktuelle Status des Verfahren angezeigt werden, kann es sein, dass dafür speziell nochmal ein verwaltungsinterner Bereich des Portals gebaut werden muss, in dem der aktuelle Status manuell von den Verwaltungsmitarbeitenden gesetzt werden muss. Ihr seht selbst: das ist dann nicht durchgehend digital.
Anträge abtippen oder Fachverfahren integrieren?
Neben der E-Akte müssen häufig noch Fachverfahren angebunden werden. Ich meine auch, dass noch kluge Interaktionskonzepte zwischen Fachverfahren, Register und E-Akte benötigt werden. Damit dort nicht wie in der analogen Welt gearbeitet wird: Erst macht das Fachverfahren alles und dann wird es in der (E-)Akte abgeladen. Mit Fachverfahren werden regelmäßig strukturierte Prozesse bearbeitet. Was bei Unternehmen die Kerngeschäftsprozesse sind, sind bei Behörden die Prozesse in den Fachverfahren.
adesso modernisiert Fachverfahren - etwa das Deutsche Auslandsschularbeit Informations-System (DAISY) oder JUSTA und hilft, diese in den Gesamtprozess zu integrieren. Es ist gerade die Integration dieser vielen und unterschiedlichen Komponenten (Online-Anträge, Registervernetzung, Fachverfahren und E-Akte), die dazu beitragen, dass die Verwaltungsprozesse vollständig digital abgebildet werden können. Dazu bedarf es verbindlicher Datenstandards und standardisierter Schnittstellen. Denn wenn die Daumenregel gilt, dass 80 Prozent der Verwaltungsleistungen von den Kommunen erbracht werden und diese häufig ganz unterschiedliche Programme einsetzen, weil sie diese für ihre individuellen Bedürfnisse beschafft haben, dann könnt ihr in etwa erahnen, wieviel Arbeit bei der Standardisierung in Wirklichkeit noch vor uns liegt.
Ihr möchtet gern mehr zu spannenden Themen aus dem Public-Bereich bei adesso erfahren, dann werft auch einen Blick in unsere bisher erschienenen Blog-Beiträge.