12. Januar 2022 von Nehir Safak-Turhan
Digitale Ökosysteme, Plattformen und Open Banking – Buzzwords, Hype oder neue Geschäftsmodelle der Zukunft?
Die Finanzbranche verändert sich grundlegend und steckt mitten in einem langfristigen Strukturwandel. Dabei hinterlassen disruptive Elemente der Digitalisierung deutliche Spuren. Eine Fülle an neuen Technologien, die klassische Bankprozesse und Kundenbeziehungen elementar verändern, hippe Near- oder Nonbanks mit digitalen Finanzlösungen und hoher Technologieaffinität, die um die Gunst der Bankkunden buhlen, Filialschließungen, Konsolidierungen sowie der ständige Druck der Regulatorik im Nacken machen das Bankerleben in den letzten Jahren nicht wirklich einfach. Das Zinstief, das die Branche seit nun über zehn Jahren dominiert, einhergehend mit einem permanenten Kosten- und Ertragsdruck, tut ihr Übriges. Sinkende Erträge, ein hoher Margendruck und die steigende Notwendigkeit für neue Wachstums- und Ertragsquellen sind die Folge. Soweit der Blick auf das halbleere Glas!
Im Gegenzug entstehen digitale Geschäftsmodelle, die dem Wandel eine positive Richtung geben. Mit innovativen Ideen, transparenten Mehrwerten, einer betriebswirtschaftlich fundierten Grundlage und auf Basis neuer Technologien bietet die Digitalisierung Chancen für mehr Wachstum und Ertrag. Digitale Ökosysteme, Plattformen sowie Open Banking sind die Buzz Words, die in der Bankenbranche im Kontext genannt werden. Was konkret dahinter steckt und wie nutzenstiftende Geschäftsmodelle aussehen, wird genauer unter die Lupe genommen. Im ersten Teil dieser Serie zum Thema „Digitale Ökosysteme und Plattformen – Das Geschäftsmodell“ widme ich mich dem Geschäftsmodell der digitalen Ökosysteme und Plattformen.
Plattformökonomie – Das Prinzip der Ökosysteme und digitaler Marktplätze
Die Erfolgsgeschichten der bekanntesten Plattformpioniere kennen wir alle: Das größte Taxiunternehmen besitzt keine Fahrzeuge (Uber), der größte Anbieter für Übernachtungen keine Hotels (Airbnb), der wertvollste Einzelhändler hat kein Inventar (alibaba) und der größte Filmanbieter betreibt keine eigenen Kinos (Netflix). Allen gemeinsam ist das Prinzip der plattformbasierten Geschäftsmodelle, deren Ursprung in den Megatrends Digitalisierung und Konnektivität liegt.
Das Prinzip ist simpel: Ein digitales Ökosystem ist ein globaler, virtueller Marktplatz auf dem das Zusammentreffen unterschiedlicher Akteure (Kundinnen und Kunden, Händler oder Unternehmen) digital erfolgt, um gegenseitige Handlungsbeziehungen miteinander einzugehen. Die Verhandlungen, Kaufentscheidungen und Abschlüsse und damit sämtliche Aktionen erfolgen über eine technologische Infrastruktur (Plattform). Wichtig ist, dass es den Akteuren gelingt, über ein digitales Netzwerk und eine gemeinsame technologische Infrastruktur auf diesem virtuellen Marktplatz so zu interagieren, dass Reibungsverluste verhindert und Nutzenvorteile des Ökosytems optimal ausgeschöpft werden. Dabei wirkt vor allem der Netzwerkeffekt – je mehr Akteure auf der Plattform sind, umso belebter und attraktiver der Markt. Dieser digitalerHandelsplatz kennt keine natürliche Limitation – er ist also beliebig skalierbar, bietet eine vollkommene Transparenz über die Preise der Anbieter, reduziert Transaktionskosten (Suchen, Finden, Abschluss) auf ein Minimum und bietet allen Beteiligten im Vergleich zur analogen Welt ein höheres Nutzenniveau. Die Kür besteht dabei darin, durch die Bereitstellung einer technologischen Infrastruktur die Optimierung von Daten und Arbeitsabläufen, Tools und Systemen sowie die Koordination von Kundinnen und Kunden, Lieferanten und externen Partnern die Aktivitäten auf der Plattform so zu bündeln, das messbare Mehrwerte für alle Beteiligten entstehen und Reibungsverluste minimal gehalten werden.
Die Mehrwerte des Geschäftsmodells
Digitale Ökosysteme bieten über die Nutzung der Plattform Mehrwerte für alle Partizipateure in Form höherer Produzenten- (Unternehmen) und Konsumentenrenten (Verbraucher). Die Senkung von Transaktions- und Opportunitätskosten, von Effizienz- und Kostenvorteilen sowie kundenzentrierten und bedürfnisorientierten Angebote sind hierbei die wesentlichen Vorteile gegenüber analogen, monolinearen Handelsbeziehungen, die sich ergänzend durch folgende Merkmale auszeichnen:
- Hohe Markt- und Preistransparenz
- Hohe Kundenreichweite auf virtuellen Märkten
- Netzwerkeffekte
- Hohe Skalierbarkeit Ökosysteme
- Multiplikatorwirkung Cross – und Upselling Potential
- Mobilität und Flexibilität des Marktplatzes (24x7)
- Hohe Lock-in Effekte
- Monetasierung Infrastrukturdienste (Serverkapazität, Vermittlungsgebühren, Provisionen, etc.) und Kundendaten
Unternehmen haben damit auf virtuellen Marktplätzen eine unbegrenzte Reichweite sowie Kostenvorteile, die sie in Form von Preisvorteilen an Kundinnen und Kunden weitergeben können. Verbraucher profitieren von der Fülle der Anbieter und davon, deren Angebote und Preise sie vergleichen können, um den Handel mit dem höchsten Nutzenversprechen zu den geringsten Transkationskosten abzuschließen. Plattformanbieter nehmen hierbei die Rolle des sogennanten Matchmaker ein – ein Vermittler oder Agent, der den Martktplatz aufstellt, das Zusammentreffen der Partner erleichtert sowie die komplette Infrastruktur für den Handel, das Zusammentreffen und die Abwicklung bereitstellt. Dieses Prinzip erlaubt es den Plattformanbietern durch Aufbau und Angebot eines Ökosystems, inklusive komplementären Infrastrukturdiensten, Erträge in Form von Provisionen, Werbeeinahmen sowie dem Angebot zusätzlicher Plattformdienste zu generieren. Ein Blick hinter die Kulissen des Amazon Geschäftsmodells macht das Prinzip haptischer:
Der Goldjunge unter den Plattformgiganten - Amazon
Seit 2000 baut Amazon sein digitales Ökosystem kontinuierlich auf und gehöhrt zu den Pionieren der Branche. Das Unternehmen baute anfangs für den Betrieb seiner Plattform global verteilte Rechenzentren und hochverfügbare Dienste sowie Schnittstellen zu anderen Anwendungen auf, die auch Dritten bereitgestellt wurden. Der Aufbau einer tragfähigen Serverinfrastruktur und der technologischen Grundlagen des Ökosystems gehörten zu den Hygeniefaktoren, um die Nutzung und Vergrößerung des Ökoystems sicherzustellen. Ein riesiger, virtueller Marktplatz wurde geschaffen der den Handel von Waren und Dienstleistung über eine E-Commerce Plattform völlig neu definierte.
Wurden zunächst primär Serverkapazitäten vermietet sowie Werbe-und Provisionseinnahmen generiert. Das Geschäftsmodell entwickelte sich fortlaufend weiter und bildet inzwischen ein umfangreiches Portfolio an zusätzlichen Infrastrukturdiensten ab, wie wir sie heute aus dem Amazon-Universum kennen (erkennbar in Abbildung 2). So betreibt Amazon beispielsweise Prime-Abonnements für schnellere Lieferungen, Zugriffe auf Film- und Musikdatenbanken und Leihbüchereien. Den Amazon Web Services (AWS) vertrauen inzwischen zahlreiche Unternehmen ihre digitalen Prozese Amazon-Servern an, um ihre Rechenzentren über Amazon-Cloud-Dienste zu bündeln. Mit einem Marktanteil von 30 Prozent steht AWS in diesem Segment als Markführer da und ist knapp dreimal so groß wie sein unmittelbarer Konkurrent IBM. Auch im KI-Bereich nimmt der Platzhirsch eine klare Position ein – mit künstlicher Sprachsteuerung, der Bewertung enormer Datenmengen und Entwicklung innovativer Dienste stellt sich Amazon darauf ein, eine neue Ära für datengetriebene Geschäftsmodelle einzuleiten. Der Betrieb des virtuellen Marktplatzes ist nach wie vor von besonderer strategischer Bedeutung. Die Investition von rund drei Milliarden US-Dollar in den indischen Markt deutet darauf hin, dass Amazon den dortigen Rivalen Flipkart und Snapdeal nicht kampflos den Markt überlassen möchte. Mit 113,1 Milliarden USD Umsatz im Jahr 2020, davon etwa 30 Milliarden allein in Deutschland sowie ca. 1.298.000 (Februar 2021) Mitarbeitenden weltweit gehört Amazon heute zu den erfolgreichsten Plattformen der Welt.
Im nächten Teil der Blog-Serie wird es um das Prinzip der Ökosysteme und digitaler Marktplätze gehen. Weitere spannende Themen aus der adesso-Welt findet ihr in unseren bisher erschienenen Blog-Beiträgen.