22. Februar 2023 von Stephen Lorenzen, Maximilian Hammes und Jonas Schnorrenberg
Deutschland setzt auf Flüssiggas (LNG) – ein Status quo über die LNG-Projekte
Der Ukraine-Krieg hat die Bemühungen um eine Unabhängigkeit der deutschen Gasversorgung von russischen Lieferungen ganz oben auf die Agenda der Regierung gesetzt. Im Rahmen dieser Bemühungen unterstützt die Bundesregierung mit Hochdruck den Aufbau einer eigenen Importinfrastruktur für verflüssigtes Erdgas (LNG). Sie investiert in permanente landgestützte Importterminals, fokussiert sich jedoch kurzfristig auf schwimmende Einheiten, von denen die erste im Dezember 2022 eingeweiht wurde. Deutschland verfügt über ein gut ausgebautes Erdgasleitungsnetz, das mit Terminals in den Nachbarländern verbunden ist, hatte aber bis vor kurzem keinen eigenen Hafen, um LNG direkt aufzunehmen.
Wie ist es um den Status quo der aktuellen Aufbaupläne der LNG-Terminals bestellt? Wir geben einen kurzen Überblick.
Was verstehen wir eigentlich unter LNG?
Liquefied natural gas (LNG) oder verflüssigtes Erdgas ist Erdgas, das zur leichteren Lagerung und Beförderung in einen flüssigen Zustand heruntergekühlt wurde (–162 °C). Erdgas hat in flüssigem Zustand ein 600-mal geringeres Volumen als in gasförmigem Zustand. LNG kann per Schiff, Lkw oder Bahn an Orte transportiert werden, die herkömmliche Erdgaspipelines nicht erreichen. Es kann aber auch direkt als Kraftstoff verwendet werden. Im Allgemeinen wird das Gas zunächst im Herkunftsland verflüssigt, dann per Schiff transportiert und am Bestimmungsort wieder vergast, bevor es in bestehende Gasnetze eingespeist wird. Laut International Energy Agency (IEA) sind die Vereinigten Staaten, Katar und Russland die weltweit größten Exporteure von LNG. In einem ICIS-Bericht für 2022 heißt es, dass Australien, Katar und die USA weiterhin um die Position des weltweit größten Exporteurs konkurrieren
LNG-Terminals gewinnen an Bedeutung
Jahrelang hatte es den Anschein, als gäbe es keinen wirtschaftlichen Grund für direkte LNG-Importe nach Deutschland, da das Land durch Pipelines aus den Nachbarländern gut angebunden ist und die europäischen LNG-Importkapazitäten nicht stark ausgelastet waren. Dies hatte dazu geführt, dass die Debatte über ein heimisches LNG-Terminal in den letzten Jahren weitgehend verstummt war und die Pläne von Verzögerungen und Unsicherheiten geprägt waren. Angesichts des Krieges gegen die Ukraine, der Einstellung direkter Pipeline-Lieferungen durch Russland und der hohen Gaspreise ist die Diskussion jedoch wieder in Gang gekommen, um die Abhängigkeit von Russland nachhaltig zu verringern.
Welche Typen von LNG-Terminals gibt es?
Es wird zwischen Typen von LNG-Terminals unterschieden: landbasierte und schwimmende Anlagen. An den fest installierten, landbasierten LNG-Terminals können mit Flüssigerdgas beladene Tanker anlegen. Das LNG wird dort wieder in den gasförmigen Zustand umgewandelt – also regasifiziert – und anschließend in das Gasnetz an Land eingespeist. Daneben gibt es schwimmende LNG-Terminals: Als solche fungieren spezielle Schiffe, in der Branche „Floating Storage and Regasification Unit“ (FSRU) genannt, auf denen das flüssige Erdgas umgewandelt und an Land geleitet werden kann.
Welche LNG-Projekte sind in Deutschland in Umsetzung beziehungsweise geplant?
Auf lange Sicht ist der Bau von drei festen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade geplant, so die Bundesregierung. Die Bauzeit kann allerdings einige Jahre in Anspruch nehmen, sodass diese Terminals frühestens im Jahr 2025/2026 in Betrieb gehen können. Als Interimslösung sollen insgesamt sechs schwimmende Terminals an Deutschlands Küsten entstehen. Neben den bereits eröffneten Terminals in Wilhelmshaven (Niedersachsen) und in Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern), wo jeweils ein zweites hinzukommen soll, sind weitere Anlagen in Brunsbüttel (Schleswig-Holstein) und in Stade (Niedersachsen) vorgesehen. In Hamburg wurden Pläne für ein schwimmendes LNG-Terminal im Hafen gestoppt.
- Wilhelmshaven beherbergt das erste deutsche schwimmende Terminal. Die FSRU traf am 15. Dezember 2022 ein, das Terminal wurde am 17. Dezember eingeweiht und das erste Gas (an Bord der FSRU) wurde am 21. Dezember 2022 ins deutsche Netz eingespeist. Anfang Januar 2023 wurde schließlich der kommerzielle Betrieb aufgenommen. Laut dem Betreiber Uniper soll zudem in einem zweiten Projektschritt eine dauerhafte und erweiterte Hafenlösung für die FSRU mit zusätzlichen Entlade- und Umschlaganlagen für grüne Gase wie Ammoniak realisiert werden.
Zudem soll in Wilhelmshaven ein zweites schwimmendes Terminal entstehen, das ab dem dritten Quartal 2023 in Betrieb genommen werden soll. Ein Konsortium aus E.ON, Engie und Tree Energy Solutions (TES) wird die Anlage betreiben. TES plant, am gleichen Standort eine Anlage für den Import von grünem Wasserstoff zu errichten. Sobald diese in Betrieb ist (geplant für 2025/2026), wird das schwimmende LNG-Terminal seinen Betrieb einstellen. - In Lubmin, dem Ort, an dem die Nord-Stream-Gaspipelines in Deutschland anlanden, hat Mitte Januar das zweite deutsche Importterminal für Flüssigerdgas den kommerziellen Betrieb aufgenommen. Das schwimmende Terminal wird privatwirtschaftlich vom französischen Energiekonzern Totalenergies und dem Unternehmen Deutsche ReGas betrieben. In Lubmin gibt es wegen der niedrigen Wasserstände eine besondere Lösung: Das Terminal wird über kleinere Shuttle-Schiffe versorgt, die das LNG von einem größeren Tanklager-Schiff auf der Ostsee holen. Dieses Spezialschiff ist die „Neptune“, die das Flüssigerdgas erwärmt und wieder gasförmig macht.
In einer zweiten Projektphase plant die Deutsche ReGas bis Dezember 2023 eine zweite FSRU in Lubmin zu installieren, die an eine neu geplante Offshore-Pipeline angeschlossen werden soll.
- In Brunsbüttel wurde am 20. Januar 2023 das schwimmende LNG-Terminal „Höegh Gannet“ offiziell in Empfang genommen. Seit Februar werden erste Gasmengen in das deutsche Gasnetz eingespeist. Das internationale Spezialunternehmen Reganosa wird den Betrieb und die Wartung der neuen landseitigen Infrastruktur übernehmen. Die Reederei Höegh LNG wird das Schiff betreiben. Es soll ersetzt werden, wenn das permanente Onshore-Terminal 2026 seinen Betrieb aufnimmt. Die stationäre Anlage in Brunsbüttel ist laut Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz perspektivisch vor allem für grünen Wasserstoff gedacht.
- Für Stade teilte das Wirtschaftsministerium im Juli 2022 mit, dass hier eines der von der Regierung gepachteten schwimmenden Terminals den Betrieb aufnehmen soll. Das Schiff soll bis Ende 2023 für den Import von LNG im Hafen des künftigen Hanseatic Energy Hub (HEH) bereit sein. Der HEH will außerdem bis 2026 eine Onshore-Anlage bauen, die das schwimmende Terminal ablöst.
- In der Hafenstadt Hamburg sollte ebenfalls eine FSRU errichtet werden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat diese Pläne jedoch wieder abgesagt. Eine Prüfung habe ergeben, dass unter anderem netztechnisch eine weitere FSRU im Norden eher schwierig umsetzbar gewesen wäre.
Fazit
Infolge des Ukraine-Krieges hat die deutsche Regierung ihre Bemühungen zur Diversifizierung der Gasversorgung weg von russischen Lieferungen intensiviert. Dazu wird der Aufbau einer eigenen Infrastruktur für verflüssigtes Erdgas (LNG) unterstützt, das zur leichteren Lagerung und Beförderung in einen flüssigen Zustand heruntergekühlt wird. Im Allgemeinen wird das Gas zunächst im Herkunftsland verflüssigt, dann per Schiff transportiert und am Bestimmungsort wieder vergast, bevor es in bestehende Gasnetze und Pipelines eingespeist wird. Neben drei langfristig geplanten festen LNG-Terminals in Wilhelmshaven, Brunsbüttel und Stade (Inbetriebnahmen im Jahr 2025/2026) ist aktuell als Übergangslösung der Fokus auf sechs schwimmende Einheiten gerichtet: Wilhelmshaven I + II, Lubmin I + II, Brunsbüttel und Stade.
Die ambitionierten Ausbaupläne der Regierung sind indes nicht gänzlich unbestritten. So kommt ein aktuelles Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zu dem Schluss, dass die Projekte aufgrund der langen Bauzeiten und des mittelfristig stark sinkenden Erdgasbedarfs nicht sinnvoll sowie massiv überdimensioniert seien, und warnt vor „stranded assets“ (Vermögenswerten, die dauerhaft von Wertverlusten bis hin zum Totalverlust gekennzeichnet sind). Die Regierung begründet die Ausbaupläne unter anderem damit, dass ein Teil des Gases an südeuropäische Länder weitergeleitet werden soll. Darüber hinaus würde eine höhere Kapazität einen besseren Schutz gegen unvorhergesehene Ereignisse oder Schäden an der Infrastruktur bieten. Es bleibt also spannend – wir bleiben für euch am Ball!
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