4. September 2024 von Manuel Steinfels
Der Supply Chain Control Tower: Die Single Source of Truth eurer Supply Chain
Durch die Globalisierung sind die Handelsbeziehungen internationaler geworden, während der technische Fortschritt und der Kostendruck zu einer stärkeren Spezialisierung der Zulieferer führen. Lieferketten sind oft interkontinental und mit langen Transportzeiten verbunden. Die Produktion sowie Kunden benötigen jedoch frühzeitige und präzise Liefertermine.
Lange Transportwege bergen Risiken wie Unwetter, Krisen oder politische Entscheidungen, die die Lieferqualität und -sicherheit beeinträchtigen können. Das erhöht den Aufwand für das Supply Chain Management. Bereits 2019 sahen laut Gartner Inc. 70 Prozent der Supply Chain Leader in der Transparenz die größte Herausforderung. Um Unsicherheiten abzufedern, werden häufig Pufferbestände aufgebaut. Die Bestandsreichweite wird nicht mehr nach dem Just-in-Time-Prinzip, sondern nach dem Just-in-Case-Prinzip bestimmt, was zu erhöhtem Lagerbedarf und Kapitalbindung führt, aber das Informationsdefizit und die Ursachen der Schwankungen nicht behebt.
Die manuelle Abfrage von Statusinformationen in heterogenen IT-Systemen ist aufgrund unterschiedlicher Logins, Datenmasken und Ablagelogiken ineffizient. In Krisensituationen werden Entscheidungen häufig auf Basis von Schätzungen statt auf Basis der tatsächlich verfügbaren Daten getroffen, was zu einer unzulässigen Komplexitätsreduktion ohne valide Grundlage für fundierte Entscheidungen führt.
Was ist ein Supply Chain Control Tower?
Der Supply Chain Control Tower (SCCT) bietet genau die Supply Chain Visibility, die man für ein effektives und effizientes Management der Supply Chain benötigt.
Ein SCCT ist die Single Source of Truth für Ihre Supply Chain.
Der große Mehrwert eines SCCT liegt im Aufbrechen von Datensilos. Datenquellen aus vielen verschiedenen Bereichen werden mit dem SCCT verbunden, so dass Informationen aus unterschiedlichen Bereichen zusammengeführt werden. Dadurch werden Zusammenhänge sichtbar, die bei der Betrachtung einzelner Datensätze oft verborgen bleiben. Oder hättet ihr noch vor wenigen Jahren gedacht, dass ein Vulkanausbruch auf einer fernen Insel eure Produktion lahmlegt?
Der zweite und ganz zentrale Vorteil eines modernen SCCT liegt in den heutigen Möglichkeiten, diese Daten mittels KI auf Muster und Zusammenhänge hin zu analysieren, Szenarien mittels digitaler Zwillinge zu simulieren und daraus fundierte Handlungsempfehlungen ad hoc abzuleiten.
Der Supply Chain Control Tower ist somit nicht nur eine Visualisierung eurer Daten in Echtzeit, er ist vielmehr der Schlüssel zu blitzschneller Reaktionsfähigkeit in Krisensituationen.
Wie ist ein SCCT aufgebaut?
Erkennen der aktuellen Lage
Der erste Schritt zu einer optimalen Supply Chain Visibility ist die Erfassung der aktuellen Situation durch Echtzeitdaten. Dazu gehören die lückenlose Historie jedes Vorgangs und Soll-Ist-Vergleiche auf Basis von Zeitstempeln sowie aggregierte Daten und Kennzahlen.
Der Vorteil: Ihr erhaltet Produkt-, Finanz- und Logistikinformationen nahezu in Echtzeit und könnt die Zukunft auf Basis aktueller Daten steuern. Im Supply Chain Control Tower laufen alle Daten zusammen und ermöglichen eine standort- und unternehmensübergreifende Übersicht. Muster und Zusammenhänge werden durch KI automatisch erkannt und interpretiert.
Diese Kontexterkennung erfolgt durch maschinelles Lernen und die Integration erweiterter Datenquellen wie Wetter, Verkehr und Nachrichten. Unstrukturierte Daten werden automatisch strukturiert und in Beziehung gesetzt. So entsteht eine echte End-to-End-Sichtbarkeit von der Produktentwicklung bis zum Vertrieb, die eine frühzeitige Erkennung von Nachfrage- und Preisschwankungen ermöglicht.
Die Auswirkungen einer Situation korrekt einschätzen
Mit einem SCCT können die Auswirkungen einer Situation in ihrer Gesamtheit wesentlich besser und umfassender beurteilt werden als bei der Betrachtung einzelner Datensätze.
Die Datenanalyse erfolgt mit Hilfe selbstlernender Modelle aus dem Bereich des maschinellen Lernens und KI. Durch Reinforced Learning lernen die Modelle, welche Kennzahlen besonders wichtig sind und finden innerhalb der vorgegebenen Grenzen selbstständig einen Weg, diese zu erreichen.
Durch den Abgleich von Soll- und Ist-Zeiten werden Verspätungen und Abweichungen und die zugrunde liegenden Störungen in der Lieferkette schneller und besser erkannt. Es ist sofort ersichtlich, wo Störungen auftreten und die Ursachen können sofort ermittelt werden.
Die Analyse der Daten erfolgt in Echtzeit: Durch die permanente Überwachung der Datenströme entgeht euch nichts. Trends werden frühzeitig erkannt und in die Zukunft projiziert, so dass ihr anhand der Daten von heute wisst, was euch morgen erwartet.
Mit Hilfe von digitalen Zwillingen werden alternative Szenarien von Krisensituationen in einer Was-wäre-wenn-Analyse untersucht.
Die Modellierung von Wirkungszusammenhängen in der Supply Chain in Form von Digital Twins bildet die Grundlage für zwei Anwendungsfälle: den Stresstest eurer Supply Chain und die Analyse möglicher Ausweichszenarien.
Beheben von Problemen und Fehlern
Die neu gewonnene umfassende Wissensbasis ermöglicht es euch, Probleme in der Lieferkette gezielter anzugehen und zu lösen. Mit Hilfe der digitalen Zwillinge habt ihr Szenarien und alternative Handlungsstrategien durchgespielt. Dadurch kennt ihr die Auswirkungen jeder alternativen Option. Jede Strategie ist nun ausgereift und fundiert und kann auf Basis belastbarer Szenarien umgesetzt werden. Dies versetzt euch in die Lage, nicht nur zu reagieren, sondern aktiv zu entscheiden und Entwicklungen vorausschauend zu antizipieren. Das beschleunigt eure Ausnahmebehandlung erheblich und senkt die Kosten, indem es Versuch und Irrtum überflüssig macht.
Darüber hinaus erhaltet ihr Alarmmeldungen, bevor der Störfall eintritt und das SCCT liefert die entsprechenden Handlungsempfehlungen gleich mit. Produktionstermine werden auf Basis aktueller Daten neu berechnet. Vorgaben für Lagerreichweiten werden angepasst. So werden Schwankungen optimiert und Einkaufspreise minimiert.
Ihr entscheidet, ob, wann und wie eure Erkenntnisse in Maßnahmen umgesetzt werden.
Umsetzen von Maßnahmen
Ihr trefft eure Entscheidungen auf der Grundlage aller verfügbaren Systemdaten, was einen hohen Detaillierungsgrad ermöglicht. Droht eine Sendung oder ein Auftrag eine Cut-Off-Zeit zu verpassen, wird der Vorgang automatisch priorisiert, um die Durchlaufzeit zu verkürzen und Risiken zu minimieren. Rückmeldungen informieren euch, wenn die Kosten einer Maßnahme höher sind als ihr Nutzen.
Der Vorteil des Aufbrechens von Informationssilos und der Modellierung von Kostenstrukturen liegt auf der Hand: Informationen aus ERP, Lagerverwaltung und Auftragsabwicklung werden ganzheitlich betrachtet. Über APIs werden Systeme entlang der Supply Chain gesteuert, so werden repetitive Aufgaben digitalisiert und ihre Bearbeitung automatisiert. Mitarbeitende arbeiten auf einer einheitlichen Oberfläche, was Zeit spart und die Sicherheit erhöht.
Maschinelles Lernen und KI treffen innerhalb zulässiger Grenzen selbstständig Entscheidungen und optimieren Prozesse. Das entlastet Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ermöglicht optimale Lagerreichweiten sowie eine autonome Supply Chain.
Insgesamt trefft ihr bessere Entscheidungen, da sie kurz- und langfristig im Einklang mit eurer Unternehmensstrategie stehen.
Welche Maßnahmen funktionieren am besten?
Die oben genannten Punkte ermöglichen es euch, durch die Kombination verschiedener Quellen neue, wirklich wertvolle, detaillierte und tiefer gehende Erkenntnisse zu gewinnen. Ihr automatisiert eure Data-Cleansing-Prozesse und stützt eure Entscheidungen nur auf Daten, die euren Qualitätsstandards entsprechen. Ihr spielt Optionen und Szenarien mit Hilfe von digitalen Zwillingen durch und hebt ungenutzte Optimierungspotenziale.
Iteratives Lernen und KI verbessern eure Logistikprozesse kontinuierlich. Dabei speichert ihr Erfahrung und Wissen im System und haltet es für zukünftige Entscheidungen bereit.
So schafft ihr die Basis für ein optimales Kundenerlebnis. Die Zusammenarbeit zwischen euch und euren Partnern in der Supply Chain verbessert sich spürbar.
Fazit
Mit einem Supply Chain Control Tower versetzt ihr eure Logistik in die Lage, die einzelnen Prozesse als Teil des Ganzen zu sehen. Ihr berücksichtigt die Gesamtheit eurer Daten und leitet daraus Entscheidungen ab, die auch euren mittel- und langfristigen Zielen entsprechen. Ein SCCT beseitigt das scheinbare Chaos im vernetzten Logistiksystem und macht die Komplexität spürbar besser beherrschbar. Mit Hilfe des Beziehungswissens zwischen den Akteuren und Agenten eures Digital-Twin-Modells könnt ihr selbst in Krisenzeiten sekundenschnell evidenzbasierte Prognosen erstellen, die euch eine nie dagewesene Flexibilität und Sicherheit bieten.
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