13. Oktober 2022 von Sandra Weis
Das Personenstandsgesetz (PStG) und dessen Herausforderungen
In der Vergangenheit mussten Personen im Geburtenregister als männlich oder weiblich eingetragen sein. Nun gibt es aber Personen, die sich selbst dauerhaft weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Niemand soll wegen seiner geschlechtlichen Identität diskriminiert werden, entschied das Bundesverfassungsgericht vom 10. Oktober 2017 (Az.: 1 BvR 2019/16). Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, eine verfassungsgemäße Regelung herbeizuführen, die es diesem Personenkreis ermöglicht, sich im Geburtenregister weder als „männlich“ noch als „weiblich“ eintragen zu lassen. Dementsprechend verfasste der Gesetzgeber das Personenstandsgesetz (PStG) mit Wirkung zum 1. Januar 2019 neu: Personen, die sich selbst nicht dauerhaft dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen, können sich im Geburtenregister nun gemäß § 22 Abs. 3 PStG als „divers“ eintragen lassen.
Die Rechtsprechungen
Mittlerweile gibt es auf Grundlage der Gesetzesänderung bereits Rechtsprechungen und vermutlich werden noch weitere folgen. Im Prinzip sagen diese Folgendes aus:
- Das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Person mit non-binärer Geschlechtsidentität wird verletzt, wenn diese beispielsweise bei der Anredeform nur zwischen „Frau“ und „Herr“ auswählen kann
- Eine dritte Option zu unterlassen und so eine Person mit non-binärer Geschlechtsidentität dazu zu zwingen, sich für eine geschlechtsbezogene Anredeform zu entscheiden, ist nicht rechtskonform
- In Vordrucken und Formularen darf das „generische Maskulinum“ verwendet werden (Bundesgerichtshof vom 13. März 2018, Az.: VI RR 143/17)
- Strafzahlungen drohen (Oberlandesgericht vom 14.04.2022, AZ 9 U 84/21 und Landgericht Frankfurt vom 26. August 2021, [AZ 2-30 O 154/20])
Auswirkungen
Unabhängig von der Branche oder dem Unternehmen hat das Personenstandsgesetz enorme Auswirkungen – vor allem auf die IT-Systemlandschaft und Systeme von Unternehmen. Ist ein Unternehmen bisher nicht in der Lage, die Gesetzesanforderungen umzusetzen, und wird es auch in Kürze nicht sein, steigt das Risiko, dass eine (potenzielle) Kundin oder ein (potenzieller) Kunde das Unternehmen auf Schadensersatz sowie Unterlassung verklagt und somit entsprechende Strafzahlungen anfallen. Hinzu kommt, dass sich im Zeitalter der neuen Medien einschließlich der Social-Media-Kanäle Nachrichten und Informationen schnell verbreiten lassen. Dass dies nicht nur positive Meldungen sind, versteht sich von selbst. Schnell kann eine fehlende oder ungenügende Umsetzung eine negative Publicity für das Unternehmen und sogleich einen Reputationsschaden nach sich ziehen. Dem entgegenzuwirken bedeutet viel Aufwand – also Zeit und Geld.
Herausforderungen für die Unternehmen
Unternehmen haben die Gesetzesanforderungen zu erfüllen und dabei die Rechtsprechungen zu berücksichtigen. Entsprechend sind Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen. Vorweg sollte innerhalb eines Unternehmens überlegt und festlegt werden, ob und gegebenenfalls welche weiteren Ziele mit der Umsetzung erreicht werden sollen. Ist es bezüglich des Themas Diversität ein Unternehmensziel, intern und extern als modernes sowie fortschrittliches Unternehmen wahrgenommen zu werden, reicht es sicherlich nicht aus, nur auf der Unternehmenswebsite das Anredefeld um die Auswahlmöglichkeit „divers“ zu erweitern. Doch selbst wenn sich Unternehmen entscheiden, nur die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, kommt eine Menge Arbeit auf sie zu.
Fragen bezüglich der Umsetzung
Anhand eines Beispiels möchte ich euch verdeutlichen, mit welchen Fragestellungen ein Unternehmen unter anderem konfrontiert werden könnte: Angenommen, ein Unternehmen möchte in den relevanten Systemen die Anredeform um die Auswahlmöglichkeit „divers“ erweitern und in den relevanten Schriftstücken eine non-binäre Anredeform umsetzen. Nun sollte sich das Unternehmen erst einmal die Frage stellen, wo bisher eine geschlechterbezogene Anrede erfolgt. Typischerweise ist dies in den IT-Systemen, wie Angebots-, Partner-, Verwaltungs- und Drucksystemen, sowie auf der Unternehmenswebsite, in Vordrucken und Formularen (online/offline), Briefen, Mails, Textbausteinen und Texten der Fall.
Die (eventuell nicht mehr zeitgemäße) Systemlandschaft mit ihren Systemen ist zu analysieren:
- In welchen Systemen hat eine Anpassung zu erfolgen?
- Wie (und von wem) ist konkret das Customizing vorzunehmen?
- Wann kann die Anpassung umgesetzt werden?
- Welche Auswirkungen hat die Anpassung beziehungsweise die Erweiterung des Datenfeldes zur Anredeform auf die Schnittstellen und Umsysteme?
- Wann kann die Anpassung (und von wem kann sie) getestet und produktiv eingesetzt werden?
Darüber hinaus ergeben sich zahlreiche Fragen zur internen und externen Kommunikation. Dazu zählen unter anderen:
- Wo sind Anpassungen notwendig?
- Soll es eine besondere Anrede für Personen mit non-binärer Geschlechtsidentität geben oder soll die Briefanrede allgemein formuliert sein (also unabhängig von der Geschlechtsidentität)?
- Gegebenenfalls: Wie soll die allgemeingültige Briefanrede künftig lauten?
- Gibt es beispielsweise Briefe oder Textbausteine, in denen mitten im Text noch einmal die Anrede der adressierten Person genutzt wird?
- Sind Formulare anzupassen und auszutauschen? Falls ja, an welchen Ablageorten sind sie auszutauschen?
- Sind Verfahrens-/Arbeitsanweisungen zu erstellen?
Auch in Richtung interne und externe Kommunikation mit den relevanten Zielgruppen bestehen Fragen:
- Wer sind unsere Zielgruppen?
- Welche Zielgruppe ist über das Thema sowie die Umsetzung zu informieren, über welche Kanäle und zu welchem Zeitpunkt?
Weitere Fragestellungen ergeben sich rund um die Aufwandsbetrachtung:
- Wie viel Aufwand fällt für die Umsetzung an?
- Welche Kapazitäten sind erforderlich?
- Verfügt das eigene Unternehmen über die erforderlichen Skills?
- Ist externe Unterstützung erforderlich?
- Welche Kosten fallen in welcher Höhe und zu welchem Zeitpunkt an?
- Sind diese bei der Budgetplanung zu berücksichtigen?
Fazit
Als außenstehende Person sieht die Umsetzung einfach aus. Die Realität zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Bei den Unternehmen fällt ein hoher Analyse- und Umsetzungsaufwand an. Entscheidungen sind zu treffen, notwendige Skills müssen unternehmensintern vorhanden sein oder eingekauft werden. Zudem sind zum Personenstandsgesetz weitere Rechtsprechungen zu erwarten, die ebenso Umsetzungsmaßnahmen erfordern.
Entsprechend sollte ein Unternehmen strukturiert und lösungsorientiert an das Thema herangehen. Und am besten mit gut ausgebildeten und erfahrenen Mitarbeitenden, die über eine technologische Kompetenz mit ausgeprägtem (branchen-)fachlichen und betriebswirtschaftlichen Know-how verfügen.
Weitere spannende Themen aus der adesso-Welt findet ihr in unseren bisher erschienen Blog-Beiträgen.